Geisterfjord. Island-Thriller
sich, ruhig zu atmen. Garðar war bestimmt zum Schlafen nach oben gegangen. Ihr schlaftrunkener Geist versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, ob er sie in der Nacht geweckt hatte, damit sie ihn ablöste. Gut möglich, dass Líf alleine Wache gehalten hatte. Katrín drehte sich zu ihr und rüttelte an dem Hügel, der immer noch reglos neben ihr lag. »Líf! Líf! Wach auf!« Aus dem Schlafsack drang undeutliches Murmeln. Katrín rüttelte noch kräftiger an Lífs Schulter. »Wach auf! Garðar ist weg!«
Líf schreckte nicht ganz so abrupt hoch wie Katrín und Putti, aber es fehlte nicht viel. Ihre zerzausten Haare hingen ihr ins Gesicht, sie zwinkerte verwirrt und schob sich mit einer linkischen Bewegung die Haare aus dem Gesicht. »Wie spät ist es?«
»Keine Ahnung, es ist schon hell.«
»Mann, haben wir lange geschlafen.« Líf gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, und Katrín sah ihre weißen Zahnreihen. »Wo ist Garðar?« Putti schien die Frage zu verstehen, rannte durchs Zimmer und schnüffelte am Boden. Als er Staub in die Nase bekam, nieste er herzhaft, beendete seine Suche und setzte sich beschämt in die Mitte des Raums.
»Ich weiß nicht, er ist weg.« Katríns Stimme war immer noch heiser, und sie sprach vor Erregung viel zu laut. »Er hat uns letzte Nacht nicht geweckt. Mich jedenfalls nicht.« Ihr kam eine vage Erinnerung, dass Garðar sie angestoßen hatte, aber die verschwand wieder, bevor sie richtig Form angenommen hatte. Vielleicht war das auch in dem Traum passiert, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte.
»Mich auch nicht.« Líf schaute sich verwirrt um. »Glaube ich jedenfalls.«
Katrín streckte die Hand nach Garðars Schlafsack aus und strich über das Innenfutter. »Der Schlafsack ist eiskalt, er hat schon lange nicht mehr darin gelegen.« Putti verstand die Botschaft falsch, sprang auf die Füße, wedelte fröhlich mit dem Schwanz und kuschelte sich dann glückselig in den weichen Stoff des Schlafsacks.
»Vielleicht ist er draußen und arbeitet an der Terrasse. Oder macht Frühstück.« Líf blieb sich selbst mal wieder treu: Bei dem Gedanken, dass jemand sie verwöhnte, wurde sie sofort fröhlich.
»Er hat nicht auf mein Rufen geantwortet, er kann nicht in der Küche sein. Und du hörst doch selbst, dass draußen niemand arbeitet.« Katrín versuchte, ihren Ärger im Zaum zu halten. Wenn schon jemand verschwinden musste, warum dann nicht Líf? »Vielleicht ist er auch rüber zum Arzthaus gegangen, um was zu holen.«
Erst jetzt spürten sie, wie kalt es im Raum war, und Líf zog den Schlafsack wieder hoch zu ihren Schultern. Katrín tat es ihr nach, und so saßen sie eine Weile, ohne etwas zu sagen, und hofften still, auf der Terrasse Schritte zu hören. Doch das Einzige, was an ihre Ohren drang, war das leise Rauschen des Flusses.
»Sollen wir raus und ihn suchen?«, fragte Líf schließlich, sah Katrín mit angsterfülltem Gesicht an, wurde aber sofort wieder zuversichtlich. »Vielleicht ist er zum Strand gegangen, weil er ein Boot gesehen hat!«
Obwohl Katrín das nicht glaubte, war sie froh über die Erklärung, wie unwahrscheinlich sie auch sein mochte. Sie biss die Zähne zusammen und stand umständlich auf, um ihren Fuß zu schonen. Das heftige Pochen in dem geschwollenen Fußrücken wurde mit jeder Minute stärker. Der Fuß war das Einzige an ihrem Körper, das richtig heiß war. Katrín machte sich schon keine Gedanken mehr darüber, ob er gebrochen war, sondern nur noch darüber, wie schlimm er gebrochen war. Am Ende schaffte sie es, aus dem Schlafsack zu krabbeln und auf einem Bein zu ihrem Anorak zu hüpfen, den sie gestern Abend in eine Ecke gelegt hatte. Zum Glück hatte sie ihre Hose wegen des Fußes nicht ausgezogen, sie hätte sie jetzt unmöglich wieder anbekommen, da die Schwellung viel größer geworden war. Katrín schlüpfte in ihren Anorak und stützte sich auf dem Weg zur Tür an der Wand ab. Am liebsten hätte sie jedes Mal, wenn sie versuchte, mit dem verletzten Fuß aufzutreten, laut aufgeschrien. Putti spürte es oder las es an ihrem verzerrten Gesicht ab, sprang von Garðars Schlafsack auf und kam zu ihr, um ihr zu helfen.
Als Líf merkte, dass sie alleine zurückbleiben würde, schoss sie hoch und zog sich hastig an. Sie verbreitete eine solche Hektik, dass Katrín ganz schwindelig wurde. Sie hielt sich am Türrahmen fest, um nicht von Líf über den Haufen gerannt zu werden. Sogar Putti wich sicherheitshalber zur Seite. Als
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