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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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einzige Möglichkeit, es herauszufinden, und auch wenn es nicht wirklich wichtig war, wollte er es unbedingt wissen. Sonst würde sie die Antwort vielleicht mit ins Grab nehmen. Als Freyr Líf ohne die Anziehungskraft, die sie vorher gehabt hatte, vor sich gesehen hatte, hatte er sie endlich durchschaut. Er war zwar auch für ihre Affäre verantwortlich gewesen, spürte aber dennoch, wie er von Hass überwältigt wurde. Wenn er Líf nicht getroffen hätte, nachdem er das Medikament abgeholt hatte, wäre Benni nicht gestorben. Nicht auf diese Art und Weise. Sein Hass war primitiv, wie Adam und Eva die Schlange gehasst haben mussten, als sie aus dem Paradies vertrieben worden waren. Deshalb hatte Freyr kein Mitleid mit Líf, auch wenn das ungerecht war. Sein Herz und seine Seele waren wie versteinert. Er verschonte sie nicht mit unangenehmen Fragen und insistierte, bis sie geschwächt versuchte zu antworten. Ihre Antworten waren undeutlich, aber sie sprach davon, dass Einar – Freyr fiel wieder ein, dass das der Name ihres Mannes war – es nicht anders verdient hätte. Daraufhin hörte Freyr sofort auf zu fragen, wollte seinen Verdacht auf einmal nicht mehr bestätigt haben. Ihre damaliges Nachfragen, nachdem sie gehört hatte, dass Insulin keinen Rausch verursachte, war viel zu detailliert gewesen und bestimmt nicht dafür gedacht, nur die peinliche Stille zu überbrücken, wie er damals angenommen hatte.
    Sie gingen um die Hausecke zu der dem Dorf abgewandten Giebelseite. Freyr blieb stehen, als der Schein seiner Taschenlampe auf eine ausgehobene Grube fiel. In der Dunkelheit konnte man den oberen Teil des Klärbehälters erkennen. Freyr ging langsam zu der Klärgrube und musste sich zwingen weiterzuatmen. Je näher er herankam, desto mehr stach ihm die grüne Farbe ins Auge, die Farbe, die ihn im Schlaf und im Wachen heimgesucht hatte. Als er an den Rand der Grube kam, sah er den gesamten Klärbehälter, dessen unterer Teil von Schnee verdeckt war. Ein U-Boot. Ein grünes U-Boot. Wenn er die Augen zusammenkniff, war es kein Problem, die Ähnlichkeit zu erkennen. Ein breiter, ovaler Rumpf mit einem kleinen Häuschen obendrauf; das Einzige, was fehlte, war das Fernrohr.
    »Halt den Hund fest, Freyr. Ich gucke rein.« Dagný schob ihn vom Rand weg. »Pass auf, dass du nicht reinfällst, sonst verstauchst du dir noch den Knöchel oder Schlimmeres.« Die Grube war nicht tief, aber Freyr wusste, dass sie recht hatte. In seinem momentanen Zustand würde er sich beim Fallen noch nicht mal mit den Händen abstützen. Er beobachtete, wie sie in die Grube sprang, sich an dem Behälter hochzog und zu der Öffnung vortastete, durch die Benni hineingeklettert sein musste. Sie löste den simplen Riegel, mit dem der Deckel befestigt war, und Freyr spürte wieder einen Stich im Herzen. Wahrscheinlich hatte der Mann, dessen Anhänger Freyr gerammt hatte, gesehen, dass der Riegel nicht richtig verschlossen war, als er losfahren wollte, und ihn zugemacht. Ein weiteres Wenn in der Geschichte. Was, wenn er das nicht getan hätte? Hätte Benni den Deckel von innen aufmachen und den Kopf rausstrecken können? Hätten andere Autofahrer ihn gesehen und den Wagen angehalten?
    Dagný legte den Deckel ab und leuchtete in den kleinen Container. Dabei wurde der Klärbehälter zu einer Laterne, und der grüne Schein ähnelte dem Nordlicht. Ganz unten in dem Behälter tauchte ein Schatten auf. Der Schmerz war schlimmer, als Freyr sich jemals hätte vorstellen können – wie wenn man zu nah an einem großen Feuer stand, das jedoch im eigenen Inneren loderte, so dass man ihm nicht ausweichen konnte. Freyr erkannte den Umriss einer kleinen, knochigen Hand. Benni.
     
    Das Meer versuchte mit aller Macht, Freyr die Rückfahrt noch unerträglicher zu machen. Jede Auf- und Abbewegung des Bootes fuhr ihm in den Magen, aber sein Körper war nicht in der Lage, der Übelkeit ein Ende zu bereiten und sich zu übergeben. Er saß auf einer Bank in dem kleinen Passagierraum neben dem Steuerhaus und starrte vor sich hin. Auch wenn seine Augen sahen, was vor ihm lag, konnte sein Gehirn die Informationen nicht verarbeiten, und er hätte Schwierigkeiten gehabt zu beschreiben, was er sah. Líf war tot, sie hatte diese Welt verlassen, kurz nachdem sie in den Ísafjarðardjúp gefahren waren; sie hatte nach einer Zigarette gefragt, einen leisen Seufzer ausgestoßen, und dann war ihr Kopf langsam zur Seite gesunken. Freyrs Versuche, sie wiederzubeleben, waren

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