Geisterfjord. Island-Thriller
alleine zu sein, ließ sie nicht mehr los, so wie die letzten vertrockneten Blätter an dem Strauch neben dem Haus sich weigerten hinabzufallen. Katrín erwiderte Garðars Lächeln und winkte, entschlossen, beim nächsten Mal, wenn er und Líf auf den Berg steigen würden, mitzugehen. Die Wanderung wäre kaum unerträglicher als das, was geschähe, wenn ihnen etwas zustieße und sie dort oben verlorengingen.
»Na also, das wäre erledigt.« Garðar stieß kleine Atemwölkchen aus, und der Hund zu seinen Füßen noch kleinere. »Sollen wir uns an die Terrasse machen, solange wir noch was sehen?« Er trat gegen das Holz in der Ecke, die bis zum Boden eingesackt war. Líf, die auf dem Rand saß, wurde durchgeschüttelt. »Das ist bestimmt alles morsch.«
»Müssen wir sie denn ganz abreißen?« Katrín stieg von der Terrasse auf die vertrocknete Wiese. Líf wurde erneut geschüttelt, und aus ihrer Dose spritzte Cola. »Dann brauchen wir Holz.«
»Wir wären immer noch am Schleppen, wenn wir alles mitgenommen hätten, was wir für dieses Haus brauchen. Da müssen wir wohl noch mal wiederkommen, am besten mit einem Schreiner.« Er langte nach der Brechstange in Katríns Hand.
»Einen Schreiner? Wir haben kein Geld für einen Schreiner. Ich dachte, das Material, was wir gekauft haben, reicht.« Katrín wurde ganz heiß. Sie waren nur eine Haaresbreite vom Bankrott entfernt, sämtliches Geld, dass Garðar an der Börse verdient hatte, war in Form von wertlosen Aktienbriefen verpufft, und sie hatten nur noch Schulden. Im Grunde waren sie schon pleite, die Banken hielten sie nur noch mit irgendwelchen Tricks über Wasser, von denen Katrín gar nichts Genaues wissen wollte und um die sich Garðar kümmerte. Aber diese Rettungsversuche waren nur Augenwischerei, am Gesicht des Kundenberaters konnte man das Ticken der Uhr ablesen, und bald würde ihnen die Luft ausgehen. Ihr Gehalt und Garðars Arbeitslosengeld würden vielleicht reichen, wenn sie schuldenfrei wären und nur noch Fahrrad fahren würden. Sie hatten das Geld, mit dem sie eigentlich in den kommenden Monaten ihre Raten abzahlen wollten, in die Renovierung der Hütte gesteckt, und es war keine Krone mehr übrig. Einen Schreiner zu beauftragen, am Arsch der Welt bei vollem Lohn mit speziellem Einöd-Zuschlag zu arbeiten, war genauso unrealistisch, wie das Haus komplett abzureißen und neu zu bauen. »Das können wir uns nicht leisten, das weißt du genau.«
Wie so oft, ignorierte Garðar ihre Worte, zumal mehr dahintersteckte, als einen Handwerker anzuheuern. Ihre gesamte Zukunft lag im Ungewissen, ihre Hoffnungen und Träume waren zerplatzt, auch wenn sie noch nicht mal besonders hochtrabende Pläne gehabt hatten. Ein Eigenheim, zwei Autos und später Kinder, nichts Ungewöhnliches. Katrín konnte durchaus damit leben, darauf zu verzichten, auch wenn es weh tat, aber Garðar schien sich unmöglich mit der Realität arrangieren zu können. Sie hatte den Verdacht, dass er glaubte, ihr Schicksal zu besiegeln, wenn er auch nur ein einziges Wort über das verlor, was ihnen widerfahren war.
»Wir reißen die kaputte Ecke ab, und dann schauen wir mal«, sagte er, schob die Brechstange unter ein morsches Brett und trat auf den Schaft. Knacken und Krachen verhinderten weitere Gespräche, während er das Holz bearbeitete.
Katrín stand daneben und beobachtete ihn, zu verstimmt, um sich an den Abrissarbeiten zu beteiligen. Ihr war schon wieder kalt. »Mach dir keine Sorgen um Geld.« Líf war aufgestanden, beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn wir einen Schreiner brauchen, kümmere ich mich darum. Wir machen das schließlich zusammen, und ich hab genug Geld.« Sie legte ihre Hand auf Katríns Schulter, ließ sie dann aber verschämt wieder sinken. »Einar hat unser meistes Geld kurz vor dem Bankencrash in Euro getauscht und hatte eine Lebensversicherung, so dass ich gut versorgt bin. Außerdem gebe ich ja so gut wie nichts aus.«
Katrín schaute sie an und grinste. Sie kannte nur wenige Frauen, die so viel Geld für Klamotten, Friseur, Handtaschen, Schuhe und andere notwendige Dinge ausgaben. Auch wenn Líf finanziell abgesichert war, würde das vielleicht nicht reichen, um den Lebensstil weiterzuführen, den Einar und sie sich angewöhnt hatten. Jedenfalls nicht auf längere Sicht. Einar hatte vor dem Bankencrash ein fettes Gehalt als Direktor einer der größten Firmen des Landes bezogen. Als die Firma verkauft worden war, hatte er eine hübsche
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