Geisterfjord. Island-Thriller
gesprochen. Dann haben die beiden Kontakt gehalten, aber Védís ist kurz darauf gestorben.«
»Worüber sie wohl gesprochen haben? Über die Bedeutung von Träumen oder wie sie diese Vorhersagen nutzen können, um Gefahren aus dem Weg zu gehen?«, fragte Dagný.
»Vielleicht haben sich auch nur über Alltägliches geplaudert. Die Träume waren der Auslöser, wieder Kontakt aufzunehmen, und dann haben sie sich einfach gut verstanden.«
»Aber das erklärt nicht, warum Halla nach Védís’ tödlichem Unfall die anderen Schulfreunde angerufen hat.« Dagný trank einen so kleinen Schluck Rotwein, dass die dunkelrote Flüssigkeit in ihrem Glas kaum weniger wurde. »Védís hatte ihr bestimmt von ihren Träumen erzählt, und als sie selbst gestorben war, wollte Halla die anderen warnen. Fragt sich nur, warum die ihre Anrufe weiter beantwortet haben und mit ihr reden wollten. Ihr Mann behauptet ja, es hätte sehr lange Telefonate über einen langen Zeitraum gegeben.«
Freyr antwortete nicht sofort und versuchte, sich an den Namen des Klassenkameraden zu erinnern, der noch lebte. »Es wäre natürlich naheliegend, den Einzigen aus der Gruppe, der noch lebt, zu fragen, was es damit auf sich hatte. Wenn er überhaupt mit uns reden will.« Freyr blätterte weiter bis zu dem entsprechenden Eintrag. »Lárus. Er ist Védís im Traum mit umgestülpten Eingeweiden erschienen.«
»Welcher Tod ihn wohl erwartet?« Dagný hob das Glas am Stiel hoch und schwenkte es wie eine erfahrene Weinkennerin, die sich darauf vorbereitet, den Wein zu probieren und dann auszuspucken.
»Keine Ahnung. Vielleicht Magenkrebs.« Freyr verdrängte den Gedanken an Unfälle und Krankheiten, bei denen die Bauchhöhle betroffen war. »Vielleicht versuche ich morgen, ihn zu finden, wenn ich schon mal in der Stadt bin. Er wohnt in Reykjavík.«
Dagný schaute auf die Küchenuhr. »Ich hab ganz vergessen, dass du morgen früh fährst. Ich gehe jetzt besser.« Sie stellte ihr Glas ab und stand auf. »Es ist gut, wenn du Lárus besuchst, ich will das im Moment nicht in die Ermittlungen einbringen. Ich kann meinem Chef und den Kollegen in Reykjavík dieses ganze wirre Zeug nicht erklären.«
Als sie an der Haustür standen, hätte Freyr sie am liebsten gebeten, über Nacht zu bleiben, fürchtete aber, dass sie nein sagen würde. Er hatte das Gefühl, dass Dagný auch nicht wusste, wie sie sich verabschieden sollte. Sie wirkte erleichtert, als ihr noch eine Frage einfiel. »Védís hat doch geschrieben, dass sie von einem Geräusch im Keller aufgewacht ist und dass ihr Traum dadurch unterbrochen wurde, oder?« Freyr bejahte. »Hast du irgendwas gehört? Geräusche, Klopfen oder so?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Schade.« Dagný lächelte. »Nicht, dass ich dir wünsche, dass es bei dir spukt, aber ich dachte, wenn das Geräusch noch da wäre, könnte es vielleicht von defekten Rohren oder so stammen, dann hätten wir zumindest ein Rätsel gelöst.«
Als Freyr im Bett lag, lauschte er auf die Geräusche des Hauses, anstatt wie sonst mit seinem iPod in den Ohren einzuschlafen. Es dauerte nicht lange, bis er das bitter bereute.
19. Kapitel
Die Nacht war ohne Zwischenfälle verlaufen – entweder waren sie zu müde gewesen, um etwas zu bemerken, oder der Umzug ins Arzthaus hatte den gewünschten Effekt. Der donnernde Knall hatte sich nicht wiederholt, und die Frauen hatten Garðar davon abgehalten hinauszustürzen. Sie hatten sofort alle Fenster und Türen kontrolliert, sich vergewissert, dass niemand ins Haus eindringen konnte, und zur Sicherheit einen Stuhl unter die Klinke der Haustür geklemmt. Einigermaßen beruhigt hatten sie sich dann im Obergeschoss eingerichtet und sich in dem größten Bett zusammengekauert. Trotzdem fror Katrín beim Aufwachen so sehr, dass sie genauso gut alleine draußen auf der Terrasse hätte schlafen können. Ihre Glieder mussten erst langsam warm werden. Ihre Gelenke waren steif, und ihr ganzer Körper schmerzte von den Prellungen. Die wenigen blauen Flecke, die nicht von Kleidung bedeckt waren, waren seit gestern dunkler und größer geworden. Wegen der Kälte traute sie sich nicht, die betroffenen Stellen unter ihrer Kleidung zu begutachten. Jeder Atemzug und jedes Wort hinterließen weiße Atemwölkchen und ließen ihren angeschlagenen Körper erschauern. Im Dämmerlicht, das durch die undichten Fensterläden drang, konnte sie sehen, dass Líf und Garðar blasse Gesichter, verquollene Augen, rote Nasen und
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