Geisterfjord. Island-Thriller
sie es nicht schafft?« Katrín bekam eine Gänsehaut und wünschte sich, dass Líf aufhören würde, darüber zu reden. »Wie sie im Wasser nach dem Jungen getastet und versucht hat, ihn zu packen zu kriegen, um ihn rauszuziehen? Ob es ihr am Ende scheißegal war, was mit ihr geschieht, und sie sich nur noch gewünscht hat, dass ihr Kind gerettet wird?«
»Hör auf damit!«, sagte Katrín scharf. »Wir wissen beide, dass es ein schrecklicher Tod war, auch ohne ins Detail zu gehen.«
»Glaubst du, dass der Junge, den wir gesehen haben, dieses Kind ist?« Líf sprach so leise, dass sie fast flüsterte. »Das würde den Schlag gegen das Haus erklären, als Garðar uns erzählt hat, was über die beiden in dem Buch steht. Wenn es ein Geist ist, erklärt das einiges.«
»Nein«, sagte Katrín entschieden. »Er ist viel älter als der Junge, der ertrunken ist. Der war fünf Jahre alt. Außerdem ist dieses Kind noch lebendig.« Ihre Stimme klang nicht überzeugend, und sie glaubte es selbst nicht mehr. »Lass uns reingehen.«
Die Wärme des Kaminofens schlug ihnen entgegen. Putti drückte sich so eng wie möglich an Katrín und legte sich dann hin, überglücklich, seinen kleinen Körper aufwärmen zu können. Das Gefühl, aus der Kälte ins Warme zu kommen, war das beste, seit sie in Hesteyri waren, und Katrín sehnte sich unbeschreiblich nach Reykjavík. Sofort beschlich sie der Verdacht, dass innerhalb kürzester Zeit etwas Schreckliches passieren würde, weil es ihnen einen Moment lang gutging. Sie war den Tränen nahe, beherrschte sich aber.
»Am liebsten würde ich da reinkriechen«, sagte Líf, die mit ausgestreckten Händen vor dem Ofen stand. »Ich hab ganz vergessen, wie es sich anfühlt, wenn einem warm wird.«
Katrín tat es ihr nach. Sie sah, wie ihre Hände von den Fingerkuppen bis über die Handrücken rot wurden, bis die Röte unter den Ärmeln ihrer Jacke verschwand. Die Schmerzen ließen nach, und sie spürte sie kaum noch.
»Ich auch. Ich hab jetzt schon Angst davor, dass mir wieder kalt wird.« Weiter kam Katrín nicht, denn hinter ihnen ertönte ein heftiger Knall, fast wie ein Schuss. Líf schrie so laut auf, dass der nächste Knall erstickt wurde, und griff nach Katrín. Putti sprang auf und schaute sich verwirrt um. »Was zum Teufel war das?« Katrín versuchte, Líf abzuschütteln, war aber bei dem Schreck an ihr Handtuch gekommen, das fast runterfiel. Sie befreite sich von Líf und griff nach dem Handtuch, bevor es auf den Boden rutschte. Sie hatte die schmutzigen Kinderfüße immer noch lebhaft vor Augen und traute sich nicht, sich umzudrehen. Auf der Terrasse waren Garðars schnelle Schritte zu hören, und Katrín beschloss, abzuwarten und ihn rausfinden zu lassen, was los war, wenn er sich schon so heldenhaft fand.
»Was war das für ein Lärm?«, fragte Garðar atemlos. »Ich hab mich total erschreckt, als ihr geschrien habt, und fast das ganze Wasser verschüttet. Was ist denn passiert?«
Im Zimmer schien nichts Ungewöhnliches zu sein, da Garðar ziemlich ruhig wirkte. Katrín drehte sich um und kämpfte mit dem Verlangen, die Augen zuzukneifen. Sie wollte ihm nicht sagen, dass nur Líf geschrien hatte, und war sich darüber auch gar nicht mehr so sicher. Schon denkbar, dass sie aufgeschrien hatte, ohne es zu merken. »Wir haben einen schrecklichen Knall gehört, und dann bist du reingekommen. Ich hab keine Ahnung, was passiert ist.«
Garðar und Katrín schauten sich um. Líf stand immer noch mit dem Rücken zum Zimmer am Ofen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Sagt mir, wenn ihr was gefunden habt.« Hastig fügte sie hinzu: »Bitte lügt mir einfach was vor, wenn es was Schlimmes ist. Ich kann einfach nicht mehr.«
»Wir müssen dir nichts vorlügen.« Garðar betrat den Raum und ging zu der Wand, wo die Stelle mit den morschen Holzdielen war. »Ich sehe, was passiert ist.« Er bückte sich und hob etwas auf. Eine zerbrochene Fußleiste. »Die Leiste ist gesprungen«, sagte er verwundert. »Vielleicht haben wir sie mit zu starker Spannung festgenagelt, und das Holz hat bei der Hitze gearbeitet.« Er bückte sich nach einer weiteren Leiste, die ebenfalls lose an der Wand lag. »Oder es hat was mit der morschen Stelle zu tun.« Er begutachtete die Holzleiste, so als wüsste sie die Antwort. »Ich denke, wir sollten die Bodenbretter an dieser Stelle austauschen. Unser Vorgänger hat noch welche übrig.«
»Ist das nicht viel zu aufwendig?« Katrín hätte die Fußleiste am
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