Geisterhauch (German Edition)
leicht an der Tatsache vorbei, dass er der Sohn des übelsten Wesens war, das je existiert hatte. Doch deswegen war er nicht zwangsläufig böse. Oder? Würde er mit dem Tod seines irdischen Körpers wirklich seine Menschlichkeit verlieren? Es war nicht gesagt, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Aber der Gedanke, dass er jetzt, nach so langer Zeit, sterben könnte …
Irgendwann musste ich mal innehalten und mich fragen, warum ich so erpicht darauf war, seinen Körper zu finden, und die Antwort war lächerlich einfach. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich wollte mir die Chance auf ein Leben mit ihm, die ziemlich hypothetisch war, da er ins Gefängnis zurückmüsste, trotzdem nicht nehmen lassen. Das war die glorreiche Wahrheit. In mancher Hinsicht war ich genauso abgebrüht und selbstsüchtig wie meine Stiefmutter.
Wow. Die Wahrheit tat tatsächlich weh.
Unabhängig davon brauchte ich neue Unterstützer. Meine toten Freunde waren nicht wirklich hilfreich. Er hatte quasi eine Schwester. Und er hatte einen sehr guten Freund. Wenn jemand wusste, wo Reyes seinen Körper versteckt hatte, dann einer der beiden.
Ich beschloss, den Glauben an anständigen Nachtschlaf aufzugeben und mir Kaffee zu machen. Dabei konnte ich mir überlegen, was auf meiner ewigen Suche nach dem Gott Reyes als Nächstes zu tun war. Vielleicht Mistress Marigold konsultieren und sie fragen, wer oder was zum Henker …?
Als Schnitterin war ich es gewohnt, dass Verstorbene in meinem Leben auftauchten und wieder verschwanden. Ich war auch an den Adrenalinstoß gewöhnt, den ihre Präsenz auslöste, besonders wenn jemand, der fünfzehn Meter tief auf die Straße geknallt war, plötzlich zu einer Beziehungsberatung hereinschneite. Aber im Wesentlichen neigte meine Kampf-oder-Flucht-Reaktion dazu zu zögern, mit dem Hintergrund zu verschmelzen und mich selbst entscheiden zu lassen, ob ich die Fäuste schwingen oder schreiend weglaufen wollte. Als ich mich also im Halbschlaf aus dem Bett schwang, löste die Tatsache, dass in meinem Wohnzimmer zwei Männer warteten, auf meiner Richter-Skala keinen nennenswerten Ausschlag aus.
Jedoch hielt ich kurz inne und maß sie mit einem Blick, dann mit einem zweiten – hauptsächlich weil sie nicht tot waren – und ging zur Kaffeekanne. Ich brauchte eindeutig einen Kickstart, ehe ich mich mit zwei Männern befassen konnte, die vermutlich bei mir eingebrochen waren. Ein dritter Kerl, der aussah wie André the Giant, hatte sich vor der Wohnungstür aufgebaut. Falls Cookie zwischendurch mal hereingestürmt käme, würde er mörderische Kopfschmerzen bekommen.
Um meine Augen zu schonen, schaltete ich die spärliche Beleuchtung unter den Oberschränken ein, – was meinen Gegnern einen unfairen Vorteil verschaffte – und eilte zu meinem Date mit Mr Coffee. André starrte auf meine Rückseite. Wahrscheinlich weil ich Boxershorts mit dem Aufdruck Scharf quer über dem Hintern trug. Ich hätte mir was überziehen können, aber es war schließlich meine Wohnung. Wenn diese Typen unbedingt bei mir eindringen wollten, mussten sie damit zurechtkommen, wie jeder, der ungebeten mein Stückchen Himmel betrat.
Unter den Blicken meiner Besucher schaufelte ich Kaffeepulver in den Filter, drückte auf den Knopf und wartete. Die neue Maschine brühte viel schneller als die alte, doch es würde trotzdem schreckliche drei Minuten lang dauern. Ich stützte die Ellbogen auf die Küchenbar und musterte meine Besucher.
Einer – der vermutlich das Sagen hatte – saß ohne Jackett mit voll sichtbarer Knarre in meinem Clubsessel. Er war in den Fünfzigern, hatte grau-braun melierte Haare, einen flotten, ordentlich gekämmten Haarschnitt und die dazu passenden dunklen Augen. Er musterte mich mit echter Neugier.
Der Mann neben ihm, der Gefährliche von ihnen, schien so was wie Neugier nicht zu kennen. Er hatte etwa meine Größe, schwarze Haare und die jugendliche, sandfarbene Haut seiner asiatischen Vorfahren. Er stand wachsam, mit angespannten Muskeln da, bereit, nötigenfalls anzugreifen. Ob er ein Kollege oder ein Leibwächter war, konnte ich nicht unterscheiden. Er trug kein Schulterholster wie sein Freund, das hieß, er brauchte keine Pistole, um sich zu schützen. Eine Tatsache, die ich irgendwie beunruhigend fand.
André sah aus wie ein großer Bär. Ich war mir sicher, dass er mal anständig gekrault werden musste, aber er hatte ebenfalls eine Pistole. So viel Muskel und Metall nur für meine Wenigkeit.
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