Geisterhauch (German Edition)
kurz vor ihrem Verschwinden genauso benommen.
»Wir hätten eifriger nachhaken sollen«, meinte Harold in schuldbewusstem Ton. »Wir haben einfach angenommen, dass Janelle der Grund war. Sie wissen ja, wie es auf der Highschool zugeht.«
Allerdings.
9
Auf Anraten meines Anwalts trage ich ein spruchfreies T-Shirt.
– T-Shirt-Aufdruck
Zwei Stunden später saßen Cookie und ich in ihrem Büro und bestaunten, was wir durch die Klassenlisten und das Internet herausgefunden hatten. In den vergangenen sechs Monaten waren sechs ehemalige Schüler der Ruiz High ums Leben gekommen oder verschollen. Die Umstände reichten von Mord und Verkehrsunfall über Selbstmord bis zu Ertrinken und Verschwinden.
»Okay«, sagte Cookie mit Blick auf ihre Liste, »diese Menschen waren alle auf der Ruiz High und höchstens eine Stufe auseinander.«
»Es könnte noch jemand fehlen. Wir haben die Namen der verheirateten Frauen nicht.«
»Nach denen suche ich noch«, versprach Cookie.
»Wenn man bedenkt, dass die ganze Schule nur hundert Schüler hatte, sind die Chancen, dass das ein Zufall ist, astronomisch klein. Es muss noch eine andere Verbindung zwischen den Opfern geben. Ich bezweifle, dass unser Täter einfach jeden umbringt, mit dem er zur Schule gegangen ist. Wäre er ein Serienmörder, gäbe es ein Tatmuster und höchstwahrscheinlich ein begrenztes Gebiet. Vielmehr versucht der Täter, es wie einen Unfall oder Selbstmord aussehen zu lassen.«
»Dass Warren Tommy Zapata bedrohte, hat der Täter vielleicht als Möglichkeit gesehen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich sich Tommy und Mimi vom Hals zu schaffen und Warren in Verdacht zu bringen«, meinte Cookie.
»Und da die anderen als Unfälle galten, kommt er ungestraft davon.«
»Weißt du, Mimi steht gar nicht auf der Liste«, stellte Cookie fest. »Die stammt aus der Zeit nach ihrem Umzug.«
»Dann machen wir Folgendes«, sagte ich. »Du siehst in den Polizeiakten von Ruiz nach, ob in den zwei Monaten vorher etwas vorgefallen ist. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht hat der Sheriff ja doch etwas mitbekommen.«
»Verstanden. Ich werde für alle Fälle auch recherchieren, ob einige der Frauen geheiratet haben.«
»Und wenn du schon mal dabei bist, kannst du auch anrufen und fragen, ob du eine ältere Klassenliste bekommst.«
»Ja, hab ich mir schon notiert. Aber was wirst du in der Zeit tun?«
Reyes hatte eine Schwester, wenn auch keine leibliche. Kim hieß sie und war Earl Walker mit zwei Jahren von ihrer drogensüchtigen Mutter vor die Tür gelegt worden, nur wenige Tage bevor diese an AIDS starb. Vielleicht hatte sie nicht gewusst, was für ein Unmensch Earl Walker damals war, und hätte es sonst nicht getan, aber darüber konnte ich nur spekulieren. Walker missbrauchte Kim zwar nicht sexuell, aber auf andere Art. Er ließ sie hungern, um Reyes zu erpressen, damit der alle möglichen Verbrechen für ihn beging.
»Ich werde mit Reyes’ Schwester reden.«
Cookie sah mich hoffnungsvoll an. »Glaubst du, sie weiß, wo er sein könnte?«
»Nein, aber einen Versuch ist es wert.«
»Willst du dich auch mit Mistress Marigold in Verbindung setzen?«, fragte sie spöttisch grinsend. » Wenn Sie der Schnitter Tod sind. Das ist echt unheimlich.«
»Allerdings. Aber ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Wie wär’s, wenn ich das für dich übernehme? Heiliges Kanonenrohr!«, sagte sie dann bei einem Blick auf die Klassenliste.
»Was?« Ich sprang auf und schaute ihr über die Schulter.
»Mimi ist mit Kyle Kirsch zur Schule gegangen. Jetzt ist mir alles klar.«
»Mit dem Kongressabgeordneten, der kürzlich bekannt gegeben hat, dass er für den Senat kandidieren will?«
»Ja. Er heißt mit Vornamen Benjamin. Hier steht er als Benjamin Kyle Kirsch. Der Name Benjamin hat mich verwirrt. Er tritt nur noch mit seinem zweiten Vornamen auf.«
Ich blickte sie konzentriert an. »Derselbe Kongressabgeordnete, der erst vor einem Monat seine Kandidaturabsicht bekannt gegeben hat?«
Cookie fiel die Kinnlade herunter. »Heiliges Kanonenrohr«, sagte sie noch einmal.
Sie drückte sich immer so treffend aus.
Ein Kongressabgeordneter. Wirklich und wahrhaftig. Da hatte wohl jemand – ich will keine Namen nennen – eine Leiche im Keller. So groß wie King Kong. Eine Leiche, die er nicht rauslassen wollte. Vielleicht weil nichts furchterregender war als Amok laufende Riesenleichen. Und ich hätte mein Vermögen darauf gewettet – siebenundvierzig
Weitere Kostenlose Bücher