Geisterhauch (German Edition)
mich auf diese Weise zurücklassen?«
Entweder war dieser Marshal überdurchschnittlich gut, oder er hatte einen Tipp bekommen. Vermutlich Letzteres, denn so gut war niemand.
Ich nahm ihre Hand in beide Hände. »Kim, ich verspreche, dass ich mein Möglichstes tun werde, um ihn zu finden.«
Sie zog mich in eine Umarmung. Ich drückte sie behutsam, aus Angst, sie könnte in meinen Armen zerbrechen.
Ich fädelte mich, rechts und links überholend, durch den Verkehr auf der I-40 und zerbrach mir den Kopf, wie ein U. S. Marshal auf Kim gekommen sein konnte. Das erschreckte mich doch ziemlich. Es war nicht leicht, sie zu finden, und ich hatte vorher von ihr gewusst. Außer mir dürfte kaum jemand über sie Bescheid wissen.
Mein Telefon bimmelte die Melodie von »Do Ya Think I’m sexy?« Ich klappte es auf und wusste, dass Cook am anderen Ende war. »Charleys übel beleumdetes Etablissement.«
»Du musst mich abholen«, sagte sie.
»Gehst du etwa schon wieder anschaffen? Hatten wir nicht ein ernstes Wort darüber gewechselt?«
»Ein paar Wochen vor Mimis Umzug nach Albuquerque ist ein Mädchen aus ihrer Klasse verschwunden.«
Ich schaltete runter und lenkte Misery in die Ausfahrt. »Was ist passiert?«, fragte ich zwischen Gehupe und schrillen Schreien. »Hat eure Therapie nichts gebracht?«, schrie ich zurück.
»Keiner weiß etwas. Es wurde auch keine Leiche gefunden.«
»Interessant.«
»Ja. Wirklich traurig. In einem fünf Jahre alten Zeitungsbericht steht, dass ihre Eltern noch in Ruiz wohnen. In demselben Haus wie vor zwanzig Jahren, weil sie hoffen, dass ihre Tochter eines Tages nach Hause kommt.«
So verhielten sich viele Eltern, die mit einer derartigen Ungewissheit leben mussten. Sie trauten sich nicht, wegzuziehen, weil ihr Kind vielleicht zurückkehren könnte. »Gewissheit ist nicht zu überschätzen.«
»Und rate mal, wie sie hieß.«
»Äh –«
»Hana Insinga.«
Sieh an. Mimis Nachricht auf der Toilettenwand im Café. »Bin in zwei Minuten da«, sagte ich und legte auf.
»Das ist die Adresse«, sagte Cookie beim Einsteigen.
»Wer nimmt derweil unsere Anrufe entgegen?« Eigentlich war mir das nicht wichtig, aber irgendjemand musste Cookie das Leben schwer machen. Warum sollte ich mich nicht selbst darum kümmern?
»Sie werden auf mein Handy umgeleitet.« Sie hatte einen Stoß Papier, Aktenmappen und ihren Laptop dabei.
»Das ist gut. Ich bezahle dich nicht dafür, dass du durch die Gegend tourst wie ein Rockstar.«
»Du bezahlst mich? Ich komme mir eher wie ein Sklave vor.«
»Unsinn, du bist viel billiger als ein Sklave. Du bezahlst deine Wohnung und deine Rechnungen selbst.«
Da sie diverse Dinge parallel tun konnte, streckte sie mir die Zunge raus und schnallte sich gleichzeitig an. Reine Angeberei. Bei der ersten Lücke im Verkehr gab ich Gas und bog auf die Central ein. Timing war alles. Die Aktenmappen flogen Cookie vom Schoß. Sie griff danach und jaulte: »Ich hab mich am Papier geschnitten!«
»Das kommt davon, wenn man mir die Zunge rausstreckt.«
An ihrem Finger saugend warf sie mir böse Blicke zu, dann besah sie ihre Wunde. »Kann ich mich damit krankschreiben lassen?«
»Legen Hühner Schneebälle?«
Gute zwei Stunden später saßen wir in einem charmanten Wohnzimmer in Ruiz bei einer Frau namens Hy, die uns Kool-Aid in Teetassen servierte. Sie sah aus wie eine Koreanerin, ihr Gatte war ein blonder, blauäugiger Navy-Pilot gewesen, und sie hatten sich kennengelernt, als er in Corpus Christi im Süden von Texas auf Urlaub war. Hy stammte von dort, wie ihre näselnde Aussprache bewies. Sie war zierlich, hatte ein rundes Gesicht, und ihre grau durchzogenen schwarzen Haare waren zu einem kinnlangen Bob geschnitten. Mit der weißen Bluse und den khakifarbenen Hosen sah sie jünger aus, und sie wirkte so zart wie die Teetassen, die sie uns reichte.
»Danke«, sagte ich, als sie mir eine Serviette anbot.
»Möchten Sie Kekse?«, fragte sie. Die texanische Aussprache war in Anbetracht ihres asiatischen Äußeren seltsam.
»Nein, danke«, sagte Cookie.
»Bin gleich wieder da.« Sie eilte in die Küche. Man hörte ihre Flipflops über den Teppich klappern.
»Darf ich die mit nach Hause nehmen?«, fragte Cookie. »Sie ist ein Schatz.«
»Darfst du nicht. Das wäre Entführung und wird von vielen Gesetzeshütern missbilligt.« Ich kicherte in meine Teetasse, als sie mich böse ansah. Papierschnittwunden machten sie offenbar mürrisch.
Hy kam mit einem Teller Kekse
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