Geisterhauch (German Edition)
für Tag sehe, zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist. Aber eben auch daran, dass mir ein kleiner Einblick in diese andere Welt gewährt wurde, die andere Realität, ohne dass ich begreifen konnte, was ich sah und woher es kam. Aber jetzt …« Er blickte mich dankbar an. »Mit anderen Worten, du hast mir meinen Glauben an Gott wiedergegeben, Charley. Denk doch mal nach. Wenn es einen Sohn Satans gibt, kann man ziemlich sicher sein, dass es einen Sohn Gottes gibt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Du hast vollkommen recht. Ich staune nur, wie locker du das alles aufnimmst.«
»Denk mal drüber nach. Jesus liebt mich.«
Ich kicherte vor lauter Erleichterung und beugte mich vor. »Wahrscheinlich tut er das, aber ich bin seine Favoritin.«
Er fing an zu lachen, dann stutzte er. Er blickte mich forschend an. Für eine ganze Weile.
»Was ist?«, fragte ich verunsichert.
»Wenn Farrow der Sohn Satans ist, was bist dann du?«
»Nichts da«, sagte ich und wackelte mit dem Zeigefinger. »Wir haben uns gegenseitig etwas erzählt.«
Er musterte mich weiter, plötzlich sehr neugierig. Dann klopfte Luann an die Tür. »Herein.«
Sie brachte ihm eine dünne Mappe.
»Das ist alles?«, fragte Neil erstaunt und setzte sich die Brille auf.
Das war offenbar die Besucherliste. »Ja, Sir. Alle anderen hat er abgelehnt.«
»Danke, Luann.« Nachdem sie hinausgegangen war, sagte er: »Farrow hat nur einen Menschen als Besucher zugelassen, und das war kein Anwalt.«
»Lass mich raten: Amador Sanchez.«
»So ist es. Sie waren vier Jahre lang Zellengenossen.«
»Sie waren schon auf der Highschool Freunde.«
»Wirklich?« Er war überrascht. »Wie kann das sein, dass sie in derselben Zelle landen?«
Wie hatte Reyes das hinbekommen? Er wurde mit jeder Sekunde faszinierender. »Luann sagt, er hat alle anderen abgelehnt. Wen meinte sie damit?«
»Du weißt schon, die Frauen.« Er tat das mit einer Handbewegung ab und studierte die Akte. »Da haben wir’s: Sanchez besuchte ihn eine Woche, bevor Farrow angeschossen wurde. Er hat ihn ziemlich regelmäßig besucht.«
»Welche Frauen?«, fragte ich, während er blätterte.
»Die Frauen«, sagte er, ohne aufzublicken. »Er hat alle abgelehnt. Darum haben wir sicher keine Aktenvermerke. Aber sie haben es weiß Gott probiert. Mindestens ein oder zwei pro Monat.« Er schaute nachdenklich an die Decke. »Doch da fällt mir ein, dass sie ja gewöhnlich einen Antrag stellen, weil sie trotzdem versuchen, als Besucher vorgelassen zu werden. Davon könnten wir Kopien haben. Ich werde mal nachsehen.« Er wandte sich wieder der Mappe zu.
»Ja, das sagtest du schon. Welche Frauen?«, fragte ich wieder und versuchte die Eifersucht niederzuringen, die in mir aufwallte.
Nach einigen Augenblicken, in denen ich seine Ermordung plante – mit siebzehn verschiedenen Methoden –, schaute er über den Brillenrand. »Die Frauen von den Webseiten.« Sein Ton übermittelte erfolgreich, dass er meine Frage idiotisch fand.
Allmählich neigte ich zu einer langsamen Tötungsart. Die viele Schmerzen bereitete. Vielleicht Methode vier. Oder dreizehn. »Welche Webseiten?«
Er legte die Akte hin und starrte mich ungläubig an. Das war wirklich grob. »Bist du nicht Ermittlerin?«
»Ja, aber –«
»Und du ermittelst in Sachen Farrow wie lange?«
»He, wer er ist, habe ich erst vor einer Woche herausgefunden. Nach dem Saturnkalender sind es sogar nur ein paar Tage.«
»Erstens, erinnere mich, dass ich dich niemals engagiere.«
Ich überlegte es mir anders. Methode zwölf war genau die richtige. Fast tat er mir leid.
»Und zweitens, tu dir einen Gefallen und google ihn.«
»Reyes googeln? Warum?«
Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Weil dir eine Überraschung bevorsteht.«
Ich rutschte bis zur Stuhlkante vor. »Wieso? Wovon redest du? Bekommt er Post von Frauen?« Ich hatte mal gehört, dass es Frauen gab, die Strafgefangenen schrieben. Ich verkniff mir die exotischen Adjektive, die ich für solche Frauen parat hatte, und fragte nur: »Er hat Brieffreundinnen?«
Neil kniff sich in die Nasenwurzel und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. »Charley«, sagte er und sah mich an, »Reyes Farrow hat Fanclubs.«
11
Man kann vieles beobachten, indem man hinsieht.
– Yogi Berra
»Du hast ihn nie gegoogelt?«
»Du ja auch nicht«, sagte Cookie. Wir fuhren zurück nach Santa Fe. »Ich habe mich nur über seine Verhaftung und Verurteilung informiert. Und ich war auf der News Journal’s
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