Geisterhauch (German Edition)
sagte ich, als ich nach rechts in Mr Kirschs Straße einbog, »keiner spricht darüber. Aber eins wissen wir immerhin.«
»Nämlich?«, fragte Cookie, ohne ihr Tippen zu unterbrechen.
»Sie konnten ein Geheimnis für sich behalten.« Ich fuhr in Mr Kirschs Einfahrt. »Was sagtest du noch, wo seine Frau gerade ist?«
Cookie klappte den Laptop zu und blickte auf. »Wow, schönes Haus.« In Taos waren fast alle Häuser schön. Es war ein teurer Ort. »Sie ist im Norden zu Besuch bei ihrer Mutter.«
»Weißt du was?«, fragte ich beim Aussteigen. »Wenn dieser Fall erledigt ist, bin ich dafür, dass wir uns anschließen. Norden ist eine gute Richtung.«
»Wie wär’s mit Washington State?«
»Klingt gut.«
»Oder New York. Ich liebe New York.«
Ich nickte. »Ich mag es, weil du es magst, aber ich bin dabei.«
Kyle Kirschs Vater sah aus, als wäre er zu seiner Zeit kein leichter Gegner gewesen. Er war groß und schlaksig, aber auch heute noch muskulös. Er hatte grau melierte, aschblonde Haare und scharf blickende, himmelblaue Augen. Obwohl im Ruhestand, war er durch und durch Polizist geblieben. Seine Körperhaltung, sein Auftreten, jede Gewohnheit deutete auf eine lange, erfolgreiche Laufbahn, bei der er zahlreiche Verbrecher zu Fall gebracht hatte. Er erinnerte mich an meinen Vater, was einen kurzen Anfall von Traurigkeit in mir auslöste. Ich war so wütend auf ihn und zugleich so besorgt. Zum Wohle aller Anwesenden beschloss ich, mich auf meine Besorgnis zu konzentrieren. Wir beide würden noch ein ernstes Wörtchen miteinander reden müssen. Doch erst mal musste ich in Erfahrung bringen, ob Mr Kirsch etwas mit Hanas Verschwinden zu tun hatte.
»Ich erinnere mich an den Fall, als wäre es gestern gewesen«, sagte Mr Kirsch, der die Akte mit Habichtsaugen überflog. Dem entging so schnell nichts, da war ich mir ziemlich sicher. »Die ganze Stadt hatte sich zusammengeschlossen, um sie zu finden. Wir haben Suchtrupps in die Berge geschickt. Wir haben in jedem Ort im Umkreis von hundert Meilen Handzettel verteilt und Vermisstenplakate aufgehängt.« Er schloss die Akte und richtete seinen Aufsehen erregenden Blick auf mich. »Das, meine Damen, ist die eine, die wir nicht gefunden haben.«
Cookie und ich sahen uns an. Sie saß neben mir auf dem Ledersofa, Stift und Notizblock in der Hand. Das Haus der Kirschs war in Schwarz und Weiß und den dezenten Hellbrauntönen der Landschaft New Mexicos gehalten und bot samt Dekor einen charmanten Mix aus Country- und Southwest-Style.
Mr Kirsch war anzumerken, dass ihm das Verschwinden des Mädchens zu schaffen machte, selbst nach so langer Zeit noch. »In der Akte steht, dass Sie mit jedem einzelnen Schüler gesprochen haben. Gab es dabei irgendetwas Auffälliges? Etwas, das Sie nicht in den Bericht aufgenommen haben, weil es Ihnen nicht so wichtig erschien?«
Er presste die Lippen zu einem Strich zusammen, stand auf und ging ans Fenster, das auf einen kleinen Teich blickte. »Vieles war auffällig«, gab er zu. »Aber so sehr ich mich bemühte, kam ich nicht dahinter, was gewisse Details bedeuteten.«
»Nach den Zeugenaussagen«, ich nahm die Akten in den Schoß und klappte sie auf, »kann Hana auf der Party gewesen sein oder auch nicht. Sie kann früh und allein wieder gegangen sein oder auch nicht. Sie kann zu einer Tankstelle in ihrer Straße gefahren sein oder auch nicht. Es gibt so viele einander widersprechende Aussagen, dass man sich kaum ein Bild von dem Abend machen kann.«
»Ich weiß«, sagte er und drehte sich um. »Zwei Jahre lang habe ich versucht, die Puzzleteile zusammenzusetzen, aber je mehr Zeit verging, desto vager wurden die Äußerungen der einzelnen Leute. Es war zum Verrücktwerden.«
Da hatte er recht. Ich beschloss, auf den wesentlichen Punkt zu kommen. Bislang sagte mir mein Bauch, dass der alte Sheriff nichts vertuschte, aber ich musste sichergehen. »In Ihrem Bericht steht, dass Sie Ihren Sohn befragt haben, der auch auf der Party war. Er gehört zu denen, die aussagten, Hana dort nicht gesehen zu haben.«
Er setzte sich schwer seufzend wieder hin. »Das ist wohl zum Teil mein Fehler. Seine Mutter und ich waren an dem Wochenende verreist, aber wir hatten ihm strikt verboten, das Haus zu verlassen. Zuerst behauptete er, nicht auf der Party gewesen zu sein, aus Angst, von uns bestraft zu werden. Doch nachdem mir mehrere Schüler gesagt hatten, dass er dort war, gab er es endlich doch zu. Mehr war jedoch nicht aus ihm herauszukriegen. Wie
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