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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Ich habe mein Baby nicht im Stich gelassen. Ich hätte das niemals tun können. Eine kranke, wahnsinnige Frau hat ihn gestohlen, eine Frau, die mich an Sklavenhändler verkauft hat, da ich sie nicht verfolgen konnte. Deshalb habe ich ihn dazu veranlaßt, Sharl zu dir zu bringen. Was sonst hätte ich tun können?” Sie berührte seine Hand. Ruhig zog er sie fort.
    Sie war kalt. Ihr war nach Weinen zumute, doch sie hatte keine Tränen mehr in sich. Sie wollte die fließenden Locken berühren, die um sein gefurchtes, müdes Gesicht flatterten. Sie wollte seinen Körper ganz nahe bei sich spüren, doch die Leidenschaft, die er einst für sie empfunden hatte, war beinahe zu Haß deformiert. Dieses Etwas in ihr, das hin- austastete und Männer in ihren Dienst bannte, hatte sie abermals ver-raten. Die Liebe, an die sie sich erinnerte, war Illusion. Sie preßte die Hände auf ihre Augen und kämpfte gegen den Frost an, der sie zu verschlingen drohte. „Ich möchte meinen Sohn sehen”, murmelte sie.
    „Es ist dein gutes Recht.” Er schob den Ledergurt der Barbat von seiner Schulter, griff nach dem Stock, der am Baum lehnte, und erhob sich steif. Er tappte den Pfad entlang zur Rückseite des Kardi Mari’fat, wo er und Zavar wohnten. Er hielt ihr die Tür auf, strich darin an ihr vorbei, um Tap-tap die Treppe zur ersten Etage hinaufzusteigen. Aleytys zitterte. Es war, als würde sie in die Vergangenheit zurückkehren. Die Nachtkerzen warfen dämonische Schatten auf die Wände des Flures.
    Er stieß eine Kinderzimmertür auf und wartete.
    Aleytys schob sich an ihm vorbei. Sie sah zwei kleine Gestalten in den Betten, doch es war zu dunkel, um mehr sehen zu können.
    Auf dem von einer tiefen Fensteröffnung gebildeten Sims entdeckte sie einen Kerzenstummel in einem einfachen Zinn-Kerzenhalter. Sie entzündete den Docht an der Nachtkerze im Flur und ging dann leise wieder hinein.
    Der Junge in dem Bett links von ihr hatte Vajds zerzauste dunkle Locken und das träumerische, verwundbare Aussehen ihrer Cousine Zavar. Er murmelte, als sie sich über ihn beugte, erwachte jedoch nicht. Sie wandte sich dem anderen Bettchen zu. Im Kerzenlicht glühte das Haar des schlafenden Jungen wie Feuer. „Mein Sohn”, flüsterte sie. Tränen verschleierten ihre Augen; die Kerzenflamme zitterte. Sie beugte sich tiefer. Im Schlaf runzelte er die Stirn, hatte eine kleine Faust fest gegen den Mund gepreßt. Sie streckte die Hand aus, hielt jedoch inne, bevor sie ihn berührte. Eine Haaresbreite über seiner Haut streichelte ihre Handfläche über seinen kleinen Körper. Sie schluckte schwer, richtete sich auf, blies die Kerze aus, stellte sie zurück und taumelte aus dem Raum.
    Vajd zog die Tür ins Schloß. Später fragte er: „Warum bist du zurückgekommen?”
    Sie blickte ihn an, unvermittelt so müde, daß es ihr schwerfiel, ihre Gedanken in der richtigen Bahn zu halten. „Ich bin gekommen, um meinen Sohn zu holen. Warum sonst sollte ich hier sein?”
    „Meinen Sohn, Leyta.”
    Sie wischte die Finger über ihr Gesicht „Was?”
    „Sharl ist mein Sohn. Ich will ihn behalten.” Sein narbiges Gesicht war grimmig im flackernden Licht. „Ich lasse nicht zu, daß du ihn mitnimmst.”
    „Du kannst mich nicht daran hindern.”
    „Und was wirst du tun, wenn er aufwacht und nach seiner Mutter schreit? Zavar ist seine Mutter. Du bist eine Fremde.” „Nein. Er wird sich erinnern. Nach einer Weile.” „Als ihn dieser Mann hierherbrachte, Aleytys, war er ein geschlagenes, gebrochenes Tier. Er hat jede Nacht bis zur Erschöpfung geschrien - und dann vor lauter Angst einzuschlafen, in die Finsternis gestarrt. Es hat Zavar ein volles Dreifachjahr gekostet, seine Alpträume zu beenden. Du hast meinen Sohn ins Grauen gezerrt. Sag mir jetzt nicht, du habest nicht gewußt, wie diese Frau war. Oh ja, ich glaube deine traurige Geschichte. Getäuscht. Verkauft. Du hattest kein Recht, ein Baby in solche Gefahr zu bringen.” „Ich hatte keine Wahl.”
    Er schnaubte. „Es gibt immer eine Wahl. Du warst versessen darauf, deinen Weg zu gehen, und du warst entschlossen, dich von nichts und niemandem davon abbringen zu lassen. Kannst du Sharl ein besseres Leben bieten als das, das er hier führen kann?”
    „Ich habe jetzt eine sichere Stellung. Ich kann ihn ernähren, mich um ihn kümmern.”
    „Wenn du sein Leben jetzt wieder umkrempelst … was meinst du, wie lange es dieses Mal dauern wird, sein Schreien zu beenden?”
    „Du verlangst von mir, daß

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