Geisterjagd
erhobenen Stuhl, dann zog er schnell den Kopf ein, als ein Glas an ihm vorbeisegelte und während des Flugs rotierte. An diesem Punkt hatte er Drevers bereits aus den Augen verloren.
Der ganzen Angelegenheit haftete etwas Surreales an, denn überall schien gekämpft zu werden, nur ihn selbst griff man nicht an. Es war, als säße er in einer schützenden Blase, abgeschirmt vor der Gewalt, aber imstande, das Treiben zu beobachten; natürlich wusste er, dass das nicht mehr lange so bleiben konnte. Er schickte sich an, von seinem Hocker aufzustehen, ein bisschen unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, wenn er schließlich auf den Beinen stand; allerdings wurden diese Überlegungen überflüssig, weil er sofort von einem gewaltigen Schwinger getroffen wurde, der vermutlich nicht einmal ihm galt. Falls doch, dann war der Hieb schlecht gezielt – ein stämmiger Unterarm rammte ihn, anstatt eine Faust, doch das reichte allemal, um ihn von den Füßen zu reißen. Im Niederstürzen knallte er mit dem Kopf gegen die Theke, wobei der Aufprall mehr schmerzte als der eigentliche Schlag. Der Barhocker, auf dem er gesessen hatte, kippte um, und die Stuhlbeine stießen ihm in die Rippen, als er darauffiel; er prallte ab, rutschte seitwärts weg und landete mit dem Rücken zur Theke am Boden.
Jemand trat ihm auf den Fuß – nicht absichtlich, sondern nur im allgemeinen Durcheinander. Rasch winkelte er das Bein an und quälte sich mühsam wieder in die Höhe, wobei er sich an dem umgekippten Barhocker hochstemmte und sich mit den Händen an der Thekenplatte festkrallte.
Das war genau das, was er brauchte. Seit seiner Jugend war er nicht mehr in eine handfeste Keilerei verwickelt worden, und wenn ihn seine Erinnerung nicht täuschte, dann war er auch damals nie als Sieger aus einem Kampf hervorgegangen.
Kaum stand er aufrecht, sah sich Kyle einem Mann gegenüber, der die Absicht hatte, ihn wieder zu Boden zu schlagen – das Gesicht kannte er nicht, aber es war eine Zielscheibe. Er schlug zu und legte seinen gesamten Groll und Ärger, den die Situation in ihm hochkochen ließ, in den Punch, und wurde mit dem stechenden Schmerz eines wuchtigen Volltreffers belohnt. Das Gesicht verschwand, und er konnte wieder frei durchatmen.
Aber nicht lange. Ein anderer Kerl türmte sich drohend vor ihm auf, und er rüstete sich, einen zweiten Boxhieb auszuteilen. Dann merkte er, dass es der Söldner war, Jim.
»Hey, immer mit der Ruhe!« Der Mann grinste, als würde er sich köstlich amüsieren. »Ich bin auf deiner Seite.«
»Hast du Drevers gesehen, meinen Kumpel, der neben mir am Tresen saß?«
Jemand griff sie an. Jims Arm schoss vor wie ein Kolben, und sowie der Angreifer unter dem Schlag zu Boden ging, zog er die Faust blitzschnell wieder zurück. »Da drüben.«
Kyle linste in die angegebene Richtung und sah seinen Schiffskameraden, wie er mit einem etwas größeren Mann im Clinch lag und offenbar den Kürzeren zog.
Ehe Kyle reagieren konnte, war Jim schon zu den beiden hingerannt, zerrte den kräftigeren Kerl von Drevers weg und schleuderte ihn in eine Gruppe ineinander verknäuelter Kämpfer. Er kam zurück und schleifte den leicht wackelig aussehenden Drevers mit sich. Blut sickerte aus einer hässlichen Wunde über einem Auge, eine Lippe war aufgeplatzt und begann bereits anzuschwellen.
»Nichts wie weg von hier«, meinte Jim, und Kyle fand, das sei der beste Vorschlag, den er seit Ausbruch der Schlägerei gehört hatte.
Die drei steuerten auf den nächstliegenden der beiden Ausgänge zu; Jim ging als Erster und diente Kyle und Drevers als Schutzschild. Er versuchte, sich an den immer noch kämpfenden Gruppen vorbeizuschlängeln, war aber auch nicht abgeneigt, sich notfalls mit Gewalt eine Schneise durch das Tohuwabohu zu bahnen. Kyle blieb diesem neuen Freund möglichst dicht auf den Fersen, während er seinen taumelnden Crewkameraden halbwegs stützen musste.
In seinen wildesten Träumen hätte er sich nicht vorgestellt, dass gleich ihr erster Urlaubstag auf Frysworld so enden würde.
Ohne größere Schwierigkeiten gelangten sie zum Ausgang und auf die dahinter liegende Straße. Der Lärm der Schlägerei wurde abrupt leiser, als die Tür hinter ihnen zuschwang. Aus einem Klub in der Nähe dröhnte Musik, hypnotisierende Latino-Rhythmen mit furiosem Getrommel, untermalt von einem stampfenden Bass. Vor dem Lokal drängte sich ein Trupp Jugendlicher, die rauchten und das einheimische Bier direkt aus der Flasche tranken.
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