Geisterjagd
Kyles Anwesenheit erwünscht war.
»Sie verfügen über die technische Expertise, die wir brauchen«, gab die anonyme Gestalt als einzige Erklärung von sich.
Kyle hatte keine Ahnung, ob das der wahre Grund war, weshalb man ihn absonderte, oder ob noch etwas anderes dahintersteckte; seine Fantasie ging mit ihm durch und er fing an, sich düstere Alternativen auszumalen. Vielleicht hatte er zu viel gesagt, als er die Situation an Bord kritisierte, vielleicht nahm man ihn mit, weil er bestraft werden sollte; er sah sich schon, wie man ihn in die Brigg verdammte oder aus einer Luftschleuse katapultierte … Da sein gesichtsloser Begleiter zu keinerlei Begründung zu bewegen war, war seine aus diesen bizarren Umständen hervorgerufene Paranoia nicht mehr zu bremsen.
Um seine Nervosität zu überspielen, plapperte er wild drauflos. »Wollten Sie schon immer Pirat werden? Ich würde wetten, dass es so war. Ich schätze, Ihre Mum war ebenfalls eine Piratin – ein weiblicher Korsar, der das Weltall durchkreuzte –, und als Kind dachten Sie: ›Eines Tages möchte ich genauso sein wie meine Mum‹; nur dass Sie natürlich andere Unterwäsche tragen würden.«
Kyle schwafelte, plapperte Unsinn, was er sehr wohl wusste. In Wahrheit erwartete er von dem Zombie keine Erwiderung, deshalb konnte er schlecht behaupten, er sei enttäuscht, als auch keine erfolgte. Die dann eintretende Stille deutete er als unerschütterliche Gleichmut, zumindest seitens derjenigen, die den Raumanzug lenkten.
Anfangs hoffte Kyle, er würde auf die Brücke geführt. Seit er von der Brücke der Lady J aus zum ersten Mal einen Blick auf die seltsamen Adaptionen und Waffenphalangen der The Noise Within erhascht hatte, brannte er darauf, die Kontrollsysteme in Augenschein zu nehmen. Doch schon bald merkte er, dass er zu den unteren Decks geführt wurde und nicht in die zentraler gelegenen Bereiche, in denen sich die Brücke befinden musste.
Vorausgesetzt, man warf ihn nicht in irgendeine tief im Inneren des Schiffs versteckte Gefängniszelle, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte, dann konnte es nur der Maschinenraum sein. Die Aussicht faszinierte ihn fast im selben Maß wie eine Gelegenheit, sich auf der Brücke selbst umzusehen.
Schließlich brachte man ihn zu einer Schott-Tür und nicht zu einer Luftschleuse, was den Vorteil hatte, dass man ihn nicht zwingen würde, ohne Raumanzug »über die Planke zu gehen«.
Der Umgang mit den schweigenden, unmenschlich wirkenden Zombies war eine beunruhigende Erfahrung, und Kyle hatte ziemlich schnell seine ursprüngliche Isolierung als einen wahren Segen betrachtet. Der Mechaniker in ihm hoffte, irgendwann einmal einen dieser Anzüge in die Finger zu bekommen, um herauszufinden, wie sie funktionierten, doch gleichzeitig war er dankbar, dass sein gegenwärtiger Begleiter vor ihm herging, sodass er nicht dauernd auf den undurchsichtigen Gesichtsschirm starren musste, hinter dem sich seiner wachsenden Überzeugung nach nichts als Leere verbarg.
Dann endlich erreichten sie den Maschinenraum; der innere Aufbau des Schiffs war Kyle immerhin so vertraut, dass er ohne Weiteres selbst dort hätte hinfinden können, wenn man es ihm erlaubt hätte.
Das Gefühl der Vertrautheit endete jedoch schlagartig, als er durch die Tür trat. Es lag nicht etwa an den Kaufman-Triebwerken, die seinen Erwartungen exakt entsprachen, sondern weil ihm alles andere fremd war.
Das funktionale Ende der Triebwerke lag in abgeschirmten Buchten hinter diesem Raum, wo gigantische Energien erzeugt wurden und kollidierten, um die gewaltigen Kräfte freizusetzen, die man zum Betreiben eines Sternenschiffs brauchte – wo diese Energien kanalisiert, reguliert und in eine nutzbringende Form gebändigt wurden. Was Kyle zu sehen bekam, war das Kontrollelement dieses Prozesses, die Steuersysteme, welche diese Furien zähmten und verhinderten, dass sie das fragile Schiff auseinanderrissen.
Die gewohnten glänzenden Zeilen aus geformtem Metall, in denen die Überwachungsanlagen und Regulierungs-Interfaces untergebracht waren, nahmen ihren üblichen Platz auf einem Sockel ungefähr in der Raummitte ein, doch dahinter befand sich … etwas völlig anderes. Kyle strengte sich an, das dort stehende Ding zu identifizieren, und wenn nur mit den elementarsten Begriffen. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen, und sein Verstand streikte bei dem Versuch, eine Bezeichnung für das zu finden, was seine Augen ihm zeigten.
Dunkle, pulsierende
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