Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
Vom Netzwerk:
wusste nicht, wohin sie blicken sollte, worauf sie sich konzentrieren sollte, und doch ertrug sie es nicht, die Augen zu schließen.
    Also senkte sie den Blick und starrte auf die staubigen, blut-besprenkelten Spitzen ihrer einstmals glänzenden schwarzen Stöckelschuhe. Das war kein guter Ausweg. In ihrem Kopf drehte sich alles, und die Füße sahen schwindelerregend weit entfernt aus. Aber es war immer noch besser, als den Bewegungen der Ältesten im Inneren der Funken sprühenden, gleißend hellen Kuppel zuzusehen, die gerade dabei waren, die Schalen aufzustellen und die Kräuter zu entzünden.
    Das einzig Gute war, dass Lauren Abrams sie nicht länger sehen konnte. Der Kreis blendete sie. Wenigstens eine kleine Erleichterung.
    Rauch wirbelte durch den Kreis, dicker, beißender Rauch vom selben Purpur wie der Kreis und die Flammen, die in der großen Feuerschale vor ihr züngelten. Sie sträubte sich, ihn einzuatmen. Einatmen war ein Teil des Eids, Teil der Bindung. Selbst sie wusste nicht über alle verwendeten Kräuter Bescheid, aber sobald sie ihre Lunge erreichten, würden sie in den Blutkreislauf gelangen und sie mit jeder einzelnen Zelle ihres Körpers auf den magischen Schwur verpflichten, den sie gleich ablegen würde.
    Es handelte sich um mächtige Kräuter der Bindung. Die Kalmusgewächse, Vetiver und Kalmus, kombiniert mit der dunklen, pulsierenden Energie der Lakritzwurzel. Sie spürte, wie sich die Macht der Pflanzen in ihr ausbreitete und in jeden freien Winkel kroch, um Chess’ eigene Magie hervorzukitzeln und sich mit ihr zu verbinden. Sie stand nackt und wehrlos vor ihnen; kalt und rücksichtslos durchtosten sie sie, breiteten sich von Kopf bis Fuß aus und unterwarfen sie ihrem Willen.
    Das hatte nichts mit den Eiden gemein, die sie bei ihrer Initiation abgelegt hatte, oder denen beim Ausbildungsantritt. Das hier war ... es war schwere, finstere Magie, die sie gefangen nahm und mit so gewaltiger Kraft umfing, dass sie glaubte, zusammenbrechen zu müssen. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie erlebt. Das war nicht richtig, es konnte nicht richtig sein ...
    Gedämpft hörte sie die Ältesten sprechen und sah schemenhafte Bewegungen, als sie am nördlichen Bogen des Kreises weitere Kräuter ins purpurrot glühende Feuer gaben. Myrrhe und Zedemholz, Bergamotte und Drachenblut. Ihr Blick verschwamm. Gestalten mit weit aufgerissenen Mündern und Glotzaugen formte sich im Rauch. Jemand stöhnte. Sie wusste nicht, ob sie es nicht selbst war.
    Der Älteste Thompson stimmte einen Singsang an, leise und langsam, die Stimme schwer vom Rauch, von Macht und Gänsehaut verursachender Autorität. Gegen ihren Willen begann sie sich im Bann seiner Befehlsgewalt zu bewegen. Tief in ihr regte sich Widerstand.
    Sie wollte das alles nicht mehr. Sie hatte es sich anders überlegt. Ihr Herz bebte in der Brust wie eine Flipperkugel, die zwischen den Hebeln festhängt und verzweifelt zu entkommen versucht. Ihr Geist kämpfte gegen den Ältesten und sein Vorhaben an, aber sie war gefangen. Saß in der Falle. Aul sein Koni mando hob sie die Hände und drehte sie, sodass die bleichen Handgelenke mit den blauroten Adern unter der dünnen Haut gegen die Decke der Kuppel gekehrt waren.
    Die Hand des Ältesten Griffin auf ihrem Arm. Verzweifelt versuchte sie, den Rauch vor ihren Augen zu durchdringen, um ihn klar zu erkennen. Kämpfte gegen den Zauberspruch an, der ihr mit harten Händen die Beine hinauffuhr, sich um ihre Schultern legte, ihr über Bauch und Brüste strich und den Hals liebkoste. Er war überall.
    Geisterhände, fremde Hände überall auf ihrem Körper. Nein. Nein, sie hatte geschworen, dass sie niemals wieder - dass sie nie wieder dort liegen würde, sie war kein Kind mehr, sie musste das nicht zulassen. Musste ihnen das nicht erlauben, sie konnte sich wehren, sie war mächtig. Sie war eine Hexe, eine verdammte Kirchenhexe-, sie war erwachsen, und sie war es jetzt, die die Macht hatte. Sie musste es ihnen nicht erlauben, nicht mehr, sie wollte das nicht mehr, nein ...
    »Aufhören!« Ihre Stimme versagte; die ausgedörrten Lippen schmerzten beim Sprechen. Sie durfte das nicht zulassen; sie wollte nicht mehr kontrolliert werden, durfte nicht schwach werden. Durfte ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben. Ihre Unabhängigkeit. Die Stärke, um die sie so verflucht hart gekämpft hatte, das Recht, eigene Gedanken zu haben und über ihren Körper zu verfugen. Nicht mehr gezwungen zu sein, für andere als

Weitere Kostenlose Bücher