Geisterstunde
Verschwenden Sie nicht Ihren Atem. Es war schon schwierig genug, Sie zu engagieren.«
Wir setzten unseren Rundgang über das Grundstück fort und kamen an einem Friedhof vorbei. »Ist das ein Familiengrab?« fragte ich.
»Seit dreihundert Jahren.«
Ich warf einen Blick zum Haus hinüber. Von unserem Standort aus starrte es bedrohlich auf uns herab. »So alt wirkt es gar nicht.«
»Ist es auch nicht. Früher stand da ein älteres Haus. Wenn Sie die Rückseite genauer betrachten, können Sie noch ein paar Fundamente sehen. Sie haben es abgerissen und aus dem Material die Nebengebäude errichtet, nachdem das neue Haus gebaut worden war.«
Vermutlich sollte ich auch einen Blick auf die anderen Gebäude werfen. Man muß alle Möglichkeiten abdecken und jeden Stein umdrehen, obwohl mir meine Intuition sagte, daß ich die Antwort wahrscheinlich im Haupthaus finden würde – falls es überhaupt eine Antwort gab.
Peters erriet meine Gedanken. »Wenn ich mich selbst zum Narren halte und es mit dem alten Mann einfach ganz normal zu Ende geht, will ich das auch wissen. Klar?«
»Klar.«
»Ich habe schon mehr Zeit mit Ihnen verbracht, als ich eigentlich sollte. Wird Zeit, daß ich wieder an die Arbeit gehe.«
»Wo finde ich Sie, wenn ich Sie brauche?«
Er kicherte. »Ich bin wie Pferdeäpfel. Überall zu finden. Sie müssen mich wohl suchen. Dieses Problem werden Sie übrigens mit allen haben, vor allem in der Wilddieb-Saison. Kelle ist die einzige, die an einem Ort bleibt.«
Wir schlenderten durch einen kleinen Obstgarten mit unidentifizierbaren Obstbäumen zum Haus zurück. In der Mitte stand eine kleine weiße Gartenlaube. Wir stiegen den kleinen Hang hinauf und erklommen die Stufen zur Eingangstür. Peters trat ein. Ich blieb stehen und ließ den Blick über den Besitz der Stantnors schweifen. Der kalte Wind biß sich in meinen Wangen fest. Der bewölkte Himmel schien jede Farbe zu schlucken und tauchte das Land in ein trübseliges Licht. Es wirkte wie altes Zinn. Ich fragte mich, ob es wie sein Meister seine Lebenskraft verlor.
Für das Land gab es einen Frühling. Ich bezweifelte stark, daß der alte Mann ihn noch erleben würde.
Es sei denn, ich fand den Giftmischer.
6. Kapitel
Die Schritte des Schwarzen Peters verklangen bereits, als ich die dämmrige Eingangshalle betrat. Sie wirkte noch verlassener und finsterer als vorher. Ich trat an den Springbrunnen und sah unserem Helden zu, wie er versuchte, mit dem Drachen fertig zu werden. Dabei dachte ich darüber nach, was ich als nächstes unternehmen sollte. Das Haus erkunden? Mir war schon kalt genug. Da konnte ich genausogut die Nebengebäude untersuchen. Dann hatte ich es hinter mir.
Ich fühlte mich beobachtet, während ich herumging, und überprüfte gewohnheitsmäßig schon die nächsten Schatten. Die Blonde war nicht zu sehen. Niemand war zu sehen, nirgendwo. Bis ich aufsah. Ich erhaschte einen Schimmer auf dem Balkon im dritten Stock auf der Ostseite. Jemand versuchte, sich zu verstecken. Wer? Einer der Leute, die ich bis jetzt noch nicht zu Gesicht bekommen hatte? Warum sie nicht gesehen werden wollten, war mir schleierhaft. Früher oder später würde ich sowieso alle kennenlernen.
Ich schlüpfte durch die Hintertür hinaus.
Unmittelbar hinter dem Haus lag ein großer, parkähnlicher Garten, dem ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Peters war mit mir weiter hinausgegangen, wo wir ungestört reden konnten. Jetzt sah ich mir den Garten genauer an.
Es gab viele hübsche Steinfiguren, Statuen, Springbrunnen und Becken, die alle leer waren, weil um diese Jahreszeit das Wasser friert. Eis würde die Beckenwände sprengen. Es gab Hecken, gestutzte Bäume, Beete für den Frühling und Sommerpflanzen. Wenn sie blühten, konnte das ziemlich beeindruckend aussehen. Jetzt jedoch wirkte es verlassen und traurig.
Ich blieb an der Hecke stehen, die die Nordgrenze des Gartens markierte und sah zurück. Der Ausblick wirkte wie ein gespenstisches Gemälde aus einer anderen Zeit.
Immerhin. Jemand beobachtete mich von einem Fenster im dritten Stock des Westflügels aus.
Vergiß das nicht, Garrett. Wohin du auch gehst und was du auch tust, immer wird dich jemand beobachten.
Etwa zehn Meter hinter der Hecke stand eine Reihe Pappeln. Sie sollten die Nebengebäude verdecken, damit die praktische Seite des Lebens den Bewohnern des Hauses nicht sofort ins Auge fiel. So sind die Reichen. Sie wollen nicht daran erinnert werden, daß ihr Luxus
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