Geisterstunde
nichts. Seine Hose hatte merkwürdige bunte Flecken. »Hab ich gehört«, brummte er.
»Haben Sie irgendwas gefunden?«
Schleicher knurrte. Offenbar hieß das: Negativ.
Ich musterte den Kadaver. Kam mir ziemlich klein vor. »Ist das Tier eingelaufen?«
»Ist’n Kitz«, erklärte Schleicher. »Hat erst vor kurzem seine Sprenkel abgelegt.«
Ja. Du bist eingerostet, Garrett. Warum sollte ein Wilddieb ein Kitz erjagen? Wenn er Fleisch wollte und die Herde nicht scheu war, würde er sich ein größeres Opfer suchen. Ich untersuchte den Leichnam genauer.
Es war zwar schon zehn Jahre her, seit ich zuletzt ein Stück Vieh geschlachtet hatte, aber das hier wirkte selbst auf mich wie die Arbeit eines Dilettanten. Als hätte es jemand getan, der zwar schon gesehen hatte, wie man ein Wild schlachtet, aber noch nie selbst Hand angelegt hatte.
»Die Patrouille heute morgen … Hatte sie eine festgesetzte Route? Oder einen besonderen Auftrag?«
»Wir hatten festgelegte Routen. So konnten vier Männer das ganze Gebiet abdecken.«
Das war nicht das, was ich wissen wollte. Aber ich konnte nicht deutlicher werden, ohne mehr zu verraten, als mir lieb war. »Wo war Hawkes, als es ihn erwischt hat?«
»Hier.«
Ich folgte Peters. Die Stelle war deutlich zu erkennen, wenn man kurz davor stand. Hawkes hatte sich herumgewälzt, nachdem er gestürzt war. Er hatte viel Blut verloren, ein Festmahl für die Fliegen, die zu blöd waren, das El Dorado zwischen den Bäumen zu bemerken. Die Stelle war etwa fünfzehn Meter vom Kadaver entfernt. Selbst ein Blinder hätte von dort aus mit Pfeil und Bogen treffen können.
Ich nahm die Fährte auf, die Hawkes auf der Flucht hinterlassen hatte, und folgte ihr bis zu einer Stelle, an der er offensichtlich stehengeblieben war. »Ich nehme an, hier hat er ins Horn gestoßen. Dann ist er weitergegangen und da erneut stehengeblieben.«
»Und dann hat der Wilddieb ihn fertiggemacht.«
Irgend jemand hatte es getan. »Wann ist das passiert?«
»Gegen neun.«
Eigenartig. Das Kitz mußte schon erheblich länger tot sein.
Ich ging wieder zurück. Schleicher stand immer noch da und starrte den Kadaver an. »Haben Sie sich umgesehen?«
Er knurrte. »Warum sollte jemand ausgerechnet so’n kleines Kitz erlegen?« Daß ein alter Kamerad einen Pfeil im Bauch hatte, kümmerte ihn nicht. Das tote Kitz schon.
Ich betrachtete den Kadaver genauer und suchte vergeblich nach der tödlichen Wunde. »Hatte es einen Pfeil im Körper?«
»Nee.«
Schleicher war keine große Hilfe.
Der Baum, an dem das Kitz hing, stand allein zehn Meter vor dem Rand eines Waldes, an dem ein Fluß entlangströmte. Dieses Wäldchen war nur hundert Meter entfernt. Ich ging in weiten Kreisen hinunter und suchte die Fährte des Wilderers.
Ich fand sie. Irgend jemand hatte es sehr eilig gehabt und war direkt durchs Unterholz gestürmt. Verständlich, wenn man gerade einen Kerl angeschossen hatte und wußte, daß seine Freunde gleich kommen mußten.
Peters folgte mir. »Sind die einzelnen Mitglieder der Patrouille auf vorher festgelegten Strecken gegangen?«
Ich konnte nicht verhindern, daß er sich fragte, warum ich das wissen wollte. Er runzelte die Stirn. »Nein. Wir haben uns abgewechselt, damit wir nicht immer dieselbe Gegend sehen mußten.«
Dann hatte der Heckenschütze auf niemand Besonderen gewartet und Hawkes rein willkürlich erschossen. Vorausgesetzt, daß der Pfeil nicht von dem Bogen eines panischen Wilderers gekommen war, sondern jemand eine Falle gestellt hatte.
Ich war überzeugt, daß Hawkes die Person gesehen hatte, als er das zweite Mal stehengeblieben war. Er hatte vor Überraschung angehalten. Sonst wäre er sicher weitergelaufen.
Wieviel davon konnte Peters sich selbst ausrechnen? Der Mann war schließlich nicht dumm.
»Wie kommen Sie mit Ihren Nachbarn klar?«
»Wir beachten sie nicht. Und sie ignorieren uns. Die meisten haben Angst vor uns.«
Das hätte ich auch, bei solchen Nachbarn.
Der Heckenschütze hatte sich nach etwa fünfzig Metern wieder beruhigt und war auf einen alten Wildwechsel eingebogen. Dort lagen zu viele Blätter auf dem Boden, so daß ich die Spur nicht genau lesen konnte, aber ich erkannte an ihrer Lage trotzdem, in welcher Richtung er entkommen war. »Haben Sie Hunde? Oder wissen Sie, woher wir welche bekommen können?«
»Spürhunde? Nein.«
Der Wildpfad führte hinunter zum Bach und teilte sich dort auf. Ein Teil führte hinüber, der andere ging am Ufer entlang. Meine Beute
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