Geisterstunde
recht große Herde.«
Jennifer fiel ihm ins Wort. »Wir haben gerade Futter ausgefahren. Normalerweise erlegen wir nicht viele.«
»Im letzten Jahr nur drei Stück«, erklärte Peters. »Die Bauern … Die Tiere sind ein leichtes Ziel, weil sie bei uns nicht so scheu sind. Letzten Monat gab es sechs Übergriffe. Das sind nur die, von denen wir wissen.«
»Vater regt sich mehr über das unbefugte Eindringen als über die Wilderei selbst auf«, meinte Jennifer. »Er hat es mit den Grenzen. Tut so, als wären es Barrieren aus Stahl.«
Wir stiegen die Stufen zur Vordertür hoch. »Nach dem letzten Vorfall hat der General regelmäßige Patrouillen angeordnet. Er wollte, daß wir jemanden fangen und ein Exempel statuieren. Heute hatten Kaid, Hawkes, Tyler und Schleicher Dienst. Anscheinend hat Hawkes jemanden auf frischer Tat ertappt und ein Signal mit seinem Jagdhorn gegeben.«
»Als die anderen bei ihm ankamen«, fuhr Jennifer fort, »lag er am Boden. Ein Pfeil hat ihn erwischt. Und ein ausgenommenes Reh hing zwanzig Meter weiter weg in den Bäumen.«
»Interessant. Und traurig. Aber warum erzählen Sie mir das? Damit werden Sie doch allein fertig.«
Jennifer sah mich verwirrt an. »Es klingt sicher komisch, aber Sie sind der einzige Scout hier. Da haben wir so viele Berufssoldaten, aber keiner von ihnen kann eine Fährte verfolgen.«
»Ach so.« Ob das stimmte? »Es ist schon Jahre her, daß ich Fährten gesucht habe. Und so gut war ich auch nicht.« Ich erinnerte mich an meine Unbeholfenheit bei einigen Fällen der letzten Zeit.
»Selbst Mittelmaß wäre immer noch mehr als das, was der Rest von uns beherrscht.« Peters blickte Schocke an, der auf uns zukam. »Wie geht es ihm?«
»Ich glaube nicht, daß er es schafft. Er braucht einen Arzt.«
»Sie kennen die Vorschrift. Keine Ärzte im Haus.«
»Wenn wir ihn tragen, wird er sterben.«
»Holen Sie einen Arzt!« fuhr Jennifer ihn an. »Mein Vater muß es nicht erfahren. Er verläßt sein Zimmer doch sowieso kaum.«
»Dellwood wird es ihm verraten.«
»Um Dellwood kümmere ich mich schon.«
»Gehen Sie«, befahl Peters Schocke, der daraufhin seinen Wanst in Bewegung setzte.
»Also lebt Hawkes noch«, stellte ich fest.
»Er ringt mit dem Tod.«
»Kann ich mit ihm reden?«
»Er ist bewußtlos. Die Chancen, daß er durchkommt, sind gleich Null, es sei denn, Schocke kommt rechtzeitig mit einem Arzt zurück.«
»Zeigen Sie mir den Ort, an dem es passiert ist, bevor der Regen alle Spuren beseitigt.«
Ich mußte reiten, ich Glückspilz. Das Pferd war zwar den ganzen Weg über sehr zuvorkommend, aber es hatte bestimmt von mir gehört. Diese Viecher haben ein perfektes Nachrichtensystem aufgebaut, was mich betrifft. Als der Gaul meinen Namen hörte, grinste er. Und wartete auf seine Chance. Es war ein ziemlich langer Ritt. Die Stantnors besaßen sehr viel Land. Wir redeten nicht viel. Ich betrachtete die Landschaft, merkte mir die Gegend anhand markanter Punkte. Vielleicht mußte ich noch einmal darauf zurückgreifen.
Diese Angewohnheit habe ich sehr früh entwickelt, und die Begabung, mich zurechtzufinden, hat mir zweifellos auch den Posten als Scout eingebrockt, als der wahre Sexton verschwand.
»Sieht aus, als käme Schleicher zurück«, stellte Peters fest, als wir einen Bach überquerten und uns dem Schauplatz näherten.
Unter einer Eiche stand ein Mann neben einem aufgehängten Tierkadaver. »Sergeant, bei den Marines habe ich keinen dieser Männer getroffen. Kannte jemand von Ihnen Sexton?«
Er sah mich merkwürdig an. »Ich glaube nicht.«
Ich stieg ab und band die Zügel an einem Eichenzweig fest. Meine Mähre wirkte irgendwie verloren. »Hast wohl gedacht, ich lasse sie einfach fallen, damit du im gestreckten Galopp nach Hause türmst, sobald ich dir den Rücken zudrehe, was?«
»Wie?« fragte Peters.
»Ich hab mit dem Gaul geredet. Ich rede gern mit Pferden. Sie sind vernünftiger als manche Menschen.«
»Schleicher, das hier ist Mike Sexton. Er war mein Scout auf den Inseln. Sie haben sicher schon gehört, daß er hier ist.«
Schleicher knurrte und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich erwiderte seine Begrüßung ebenso liebenswürdig.
Konnte man Schocke schon heruntergekommen nennen, war Schleicher noch eine Stufe weiter gegangen. Sein Haar war seit Monaten nicht mehr geschnitten worden, und sein Bart war verwildert wie ein Brombeerstrauch. Anscheinend wechselte er seine Kleidung nicht sehr häufig, und vom Baden hielt er wohl auch
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