Geisterstunde
so groß wie ein Haus und sieht nur halb so schlau aus. Die Leute nehmen ihn einfach nicht ernst. Deshalb bekommt er auch nie die besten Jobs.
»Einverstanden. Ich zahle seinen normalen Satz. Plus einem Bonus, wenn er einen der Gegenstände wiederbeschafft. Und ein zusätzliches Zückerli, wenn er eine Beschreibung des Diebes mitliefert.«
»Auf Treu und Glauben?« Morpheus ist Meister der versteckten Hinweise.
Ich gab ihm eine Vorauszahlung. »Ich danke dir, und Eierkopf dankt dir ebenfalls«, sagte er. »Ich weiß, daß du nur einem alten Kumpel einen Gefallen tust, aber die Sache wirkt ziemlich harmlos. Vor allem, wenn der alte Knacker einfach abnippelt.«
»Irgend etwas geht da vor sich. Jemand hat versucht, mich auszuschalten.« Ich erzählte ihm die Geschichte.
Morpheus lachte. »Ich hätte zu gern das Gesicht des Kerls gesehen, als er mit der Axt zuschlug und du wie eine Glocke geklungen hast. Du hast immer noch diesen unverschämten Dusel.«
»Vielleicht.«
»Warum sind sie hinter dir her?«
»Ich weiß es nicht. Geld? Das ist ein Gesichtspunkt, unter dem die Sache Format gewinnt. Der alte Knabe ist etwa fünf Millionen Taler schwer. Sein Sohn ist tot. Seine Frau ist vor mehr als zwanzig Jahren gestorben. Seine Tochter Jennifer erbt den halben Besitz. Die andere Hälfte geht an seine alten Kameraden von den Marines. Vor drei Jahren gab es noch siebzehn Erben. Seitdem sind zwei angeblich eines natürlichen Todes gestorben. Einer wurde von einem wütenden Bullen erlegt, und vier sind verschwunden. Eine kleine Rechnung ergibt, daß dies die Summe für die Überlebenden fast verdoppelt hat.«
Morpheus setzte sich hinter seinen Schreibtisch, legte die Füße hoch und reinigte seine strahlend weißen Zähne mit einem zehn Zentimeter langen, stählernen Zahnstocher. Ich hütete mich, seine Gedankengänge zu unterbrechen.
»Das riecht geradezu nach einem hinterhältigen Spiel, Garrett.«
»Die menschliche Natur ist eben, was sie ist.«
»Würde ich noch wetten, würde ich darauf setzen, daß einer versucht, seinen Anteil aufzustocken.«
»Die menschliche Natur ist eben …«
»Niemanden würde soviel Kohle kaltlassen. Dich nicht, mich nicht, nicht mal einen einfältigen Heiligen. Vielleicht hast du da ja doch was Interessantes am Wickel.«
»Möglich. Die Sache ist nur die: Ich bring die Einzelheiten einfach nicht zusammen. Wenn ich rausfinde, wer die Diebstähle begeht – die übrigens sinnlos sind, wenn man bedenkt, was am Ende an Gold auf die Leute wartet –, wenn ich die Person dingfest mache, habe ich damit noch lange nicht denjenigen, der versucht, den General umzulegen.
Und der wiederum kann nicht die Zahl der anderen Erben dezimieren. Wer das tut, müßte Interesse daran haben, sich den General noch etwas länger zu erhalten.«
»Was passiert, wenn die Tochter den Löffel vor dem General abgibt?«
»Mist!« Das war ein entscheidender Punkt, und er war mir bisher entgangen. Wenn alles an die Jungs fallen würde, dann stand sie wirklich mitten im Fadenkreuz. »Seltsam ist auch, daß alle so tun, als wüßten sie nicht, was vorgeht. Sie machen Dienst wie gewöhnlich und mißtrauen sich nicht mal gegenseitig. Ich dagegen mißtraue allen, dabei bin ich erst eine Nacht da.«
»Ein besonders verwunderliches Merkmal deiner Spezies ist, daß die meisten Exemplare nur sehen, was sie sehen wollen.«
»Was soll das heißen?«
»Vielleicht sind diese Kerle ja gute alte Kumpel, und nur einer hat begriffen, daß es sich lohnt, ein paar Kehlen durchzuschneiden. Vielleicht ist auch keiner mißtrauisch, weil sie nicht glauben, daß einer von ihnen so etwas tut, nach all dem, was sie gemeinsam durchgemacht haben.«
Das war möglich. Selbst ich hatte ein ähnlich gelagertes Problem. Ich könnte mir nie vorstellen, jemanden kaltzumachen, mit dem ich so lange zusammengearbeitet habe. »Die ganze Angelegenheit könnte auch genau das sein, was sie behaupten. Drei Tote, deren Ableben leicht erklärbar ist, und vier, die mit der Lebensweise nicht klarkamen und weggegangen waren, weil Geld ihnen nichts bedeutete.«
»Sicher. Außerdem ist der Mond eine Mausefalle.«
»Du hast eine sehr negative Einstellung.«
»Die jeden Tag auf der Straße bestätigt wird. Neulich hat ein sechsunddreißigjähriger Mann seine Mutter und seinen Vater erstochen, weil sie ihm kein Geld für eine Flasche Wein geben wollten. So ist die Welt da draußen, Garrett.
Wir sind Ausgeburten unserer eigenen schlimmsten Alpträume.« Er
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