Geisterstunde
gebraucht, um warm zu bleiben. Meine Güte, was würde er Feuerholz sparen!
Dann vergaß ich mein Mantra und meinen Namen und erwiderte den Kuß. Etwa zwanzig Sekunden später vergaß sie ihr Zittern.
Morpheus klopfte an die Tür. »Heh, Garrett! Willst du die ganze Nacht pennen?«
Ich richtete mich so plötzlich auf, daß mir schwindlig wurde, und tastete die Laken ab. Garrett war allein im Bett.
Was? Ich habe ja eine lebhafte Vorstellungskraft und ein sehr ausgefülltes Phantasieleben, aber …
»Bring eine Lampe her!«
»Was ist mit deiner Falle?«
Was damit war? »Ich habe sie nicht aufgebaut.«
Als Morpheus hereinkam, saß ich auf der Bettkante und hatte ein Laken um mich gewickelt. Ich sah zerknittert aus und fühlte mich viermal so zerknittert, wie ich aussah. »Was ist passiert?«
»Du wirst es nicht glauben.«
Das tat er auch nicht. »Ich habe das Wohnzimmer nicht verlassen. Das heißt, ich bin einmal pinkeln gegangen. Keiner konnte an mir vorbeikommen. Du hattest einen Traum.«
Vielleicht. Aber trotzdem. »Ich könnte mehr Träume wie diesen gebrauchen. Falls es einer war, was ich nicht glaube. So habe ich noch nie geträumt.«
»Wenn Männer in die Jahre kommen, fangen sie an, ihre Abenteuer im Kopf zu erleben.« Er grinste und zeigte mir seine spitzen Elfenzähne.
»Laß uns nicht damit anfangen. Ich bin zu nervös, um mitmachen zu können. Hast du was rausgefunden? Wie spät ist es überhaupt?«
»Ja. Dein Schrank ist zweimal so groß, wie er eigentlich sein dürfte. Und es ist ungefähr Mitternacht. Geisterstunde.«
»Ich hätte gut einmal durchschlafen können, auch ohne solche Witzchen.« Ich stand auf und zog die Bettlaken mit.
Morpheus Miene veränderte sich plötzlich. Er trat einen Schritt näher und hob etwas auf.
Es war der rote Gürtel, den die blonde Frau immer trug, sogar auf Schleichers Gemälde.
Morpheus blickte mich an. Ich blickte zurück. Vielleicht lächelte ich sogar ein bißchen. »Meiner ist das nicht.«
»Vielleicht sollten wir machen, daß wir hier wegkommen, Garrett.«
Ich zog mich an. Mir fiel keine passende Erwiderung ein. Im großen und ganzen stimmte ich ihm zu. »Bist du jemals von einem Job zurückgetreten, den du einmal übernommen hast?« fragte ich schließlich.
Wieder bekam er diesen seltsamen Gesichtsausdruck. »Ja. Einmal.«
Das konnte ich mir nicht vorstellen. Es sah Morpheus Ahrm überhaupt nicht ähnlich. Er lieferte immer. Nicht mal von einem Oberboß oder einem Vampiernest ließ er sich abschrecken. Das hatte ich mit eigenen Augen gesehen. »Das kann ich nicht glauben. Mit wem hattest du es zu tun? Einer Herde Donnerechsen?«
Er redete nicht gern über seine Arbeit, also ließ ich das Thema sofort fallen. »Wir sollten uns mal den Schrank ansehen.«
Die Situation war ihm unheimlicher, als er zugeben wollte. Denn er redete weiter. »Ein Mann hat mich engagiert, ohne mir etwas über das Opfer zu sagen. Nur, wo es zu einer bestimmten Zeit sein würde. Ich erlebte die größte Überraschung meines Lebens, als ich dort ankam und es sah.«
Ich öffnete die Schranktür. »Okay. Ich beiß an. Also wer war das Opfer?«
»Du.«
Ich drehte mich langsam um. Etwa zehn Sekunden lang hatte ich keine Ahnung, wie es weiterging. War jetzt der Moment gekommen, den ich immer gefürchtet hatte?
»Immer mit der Ruhe. Das war vor sechs Monaten. Vergiß es. Ich wollte es eigentlich nie erwähnen.«
Er hätte es sicher auch nicht getan, wenn er nicht bis ins Mark erschüttert gewesen wäre. Ich versuchte mich daran zu erinnern, an welcher Sache ich damals gearbeitet hatte.
Es war nichts Dolles gewesen. Eine Vermißtengeschichte, die von Anfang an gestunken hatte. Aber es war erst klar geworden, nachdem ich die vermißte Person gefunden hatte. Tot.
»Ich schulde dir was.«
»Vergiß es. Ich hätte es nicht erwähnen sollen.«
»Nein, vergiß du es. Und jetzt wollen wir uns mal ansehen, wohin der verschenkte Platz verschwunden ist.« Dann fiel es mir wieder ein. Diese Vermißtensache hatte gestunken, weil ich annahm, daß mehr dahintersteckte, als die Klientin zugeben wollte. Sie wirkte nachtragend, obwohl nichts in ihrer Geschichte einen Grund dafür bot. Sie suchte nach einem angeblichen Geschäftspartner ihres verstorbenen Mannes.
Erst im nachhinein fielen die Puzzlestücke zusammen. Der Kerl, den sie suchte, hätte sie wegen des Todes ihres Mannes erpressen können. Sie hatte mich nicht mehr gebraucht, nachdem sie erfahren hatte, daß er tot
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