Gejagt
als
Lernhilfe
.« Sie sah mich lange und intensiv an. Ich nickte – ich begriff, dass sie das Feuer rufen und das ›Corpus delicti‹ (ha, was für ein geschraubter Ausdruck, dessen Bedeutung ich sogar kannte!) unseres Täuschungsmanövers vernichten würde.
Erin eilte ihr nach. »Ich komm mit, Zwilling. Vielleicht brauchst du ja, äh, meine Hilfe.«
»Gut, so brauchen wir wenigstens nicht zu befürchten, dass Shaunee die Schule abfackelt«, flüsterte Damien.
In diesem Moment kam Aphrodite hereingewirbelt. »Heilige Scheiße, ich bin am Verhungern!«, stieß sie hervor und ließ sich neben mich fallen. Ihr Teller verschwand unter einem Berg Spaghetti. Sie sah blendend aus wie immer, wenn auch ein bisschen zerzaust. Ihr Haar, das ihr normalerweise als offene, himmlisch feine Mähne über die Schultern fiel, hatte sie zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zurückgebunden, der einst bestimmt schick ausgesehen hatte, jetzt aber sichtlich mitgenommen war.
»Alles okay?«, flüsterte ich, sah rasch zum Fenster hinüber und versuchte ihr dann mit den Augen zu bedeuten:
leise, sie können uns hören.
Aphrodite folgte meinem Blick, nickte kaum merklich und flüsterte zurück: »Alles okay. Mann, ist Darius
schnell
!«
Ich kapierte, dass er sie wohl auf einen seiner Überschalltrips mitgenommen hatte. Einen Moment lang bedauerte ich, dass er uns nicht einen nach dem anderen auf diese Weise hier rausbringen konnte, behielt aber eine leicht veränderte Version dieses Gedankens im Kopf: vielleicht konnte er sich im Notfall wenigstens mit einem oder sogar zweien von uns davonmachen.
»Die sind überall da draußen«, sagte Aphrodite so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte.
»An der Mauer?«, flüsterte Damien.
Sie nickte, während sie sich gierig Spaghetti in den Mund schaufelte. »Auch auf dem Gelände verteilt«, sagte sie leise zwischen zwei Bissen, »aber es ist ganz klar ihr Hauptanliegen, dass niemand ohne ihre Erlaubnis raus- oder reinkommt.«
»Also, wir müssen’s definitiv ohne ihre Erlaubnis tun«, sagte ich. Dann sah ich Damien an. »Ist es okay, wenn du jetzt gehst, damit ich mit Aphrodite reden kann? Verstehst du?«
Eine Sekunde lang wirkte er verletzt, dann verstand er. »Okay, dann bis …?« Der halbe Satz wurde zu einer Frage.
»Lies dir einfach den Vokabelzettel durch, ja?«
Er lächelte. »Okay.«
»Vokabelzettel?«, fragte Aphrodite, nachdem er weg war.
»Ach, das ist meine Methode, ihnen mitzuteilen, dass wir uns direkt nach der Schule in den Ställen treffen müssen, ohne dass sie es vorher wissen. Wenn sie es erst im letzten Moment erfahren, braucht Neferet hoffentlich ’ne Weile, um zu peilen, was wir vorhaben.«
»Und wenn’s gut läuft, sind wir bis dahin schon draußen?«
»Ich hoff’s«, flüsterte ich. Dann rückte ich näher an sie heran, egal ob die Rabenspötter es verdächtig fanden, wenn wir die Köpfe zusammensteckten. Wenigstens kamen sie nicht in unsere Gehirne rein. »Geh mit Darius zu den Ställen, sobald die Schule aus ist. Dragon und Anastasia sind auf unserer Seite. Das heißt, wenn das mit den Katzen stimmt, gilt das hoffentlich auch für Lenobia.«
»Das heißt, sie könnte uns helfen, über die Schwachstelle in der Mauer bei den Ställen zu flüchten?«
»Ja. Pass auf, was ich jetzt sage, darfst du
niemandem
erzählen, nicht mal Darius. Schwörst du mir das?«
»Ja, ja, klar, von mir aus, ich schwör’s bei meinem Le-«
»Nein, reicht schon, wenn du’s mir einfach so versprichst.« Ich wollte nicht auch noch von ihr etwas davon hören, dass sie sterben könnte.
»Na gut, ich versprech’s dir einfach so. Also, worum geht’s?«
»Wenn wir hier verschwinden, gehen wir nicht zurück in die Tunnel. Sondern ins Kloster.«
Sie bedachte mich mit einem scharfen, viel intelligenteren Blick, als die meisten Leute ihr wohl zugetraut hätten. »Hältst du das wirklich für ’ne gute Idee?«
»Ich vertraue Schwester Mary Angela, und ich hab kein gutes Gefühl in den Tunneln.«
»Oh Shit. Ich hasse es, wenn du das sagst.«
»Himmel, ich bin auch nicht glücklich darüber! Aber ich hab da unten so ’ne Art Finsternis gespürt, die ich schon viel zu gut kenne.«
»Neferet«, hauchte Aphrodite.
»Ich fürchte ja.« Langsam und nachdenklich sprach ich weiter. »Und ich hab mir gedacht, dass die Atmosphäre des Klosters sie vielleicht abhält. Außerdem hat Schwester Mary Angela mir erzählt, dass beim Kloster auch so etwas wie ein Ort der Macht sein
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