Gejagte Der Dämmerung -9-
feuchten Augen an, und vor Erschütterung versagte ihm fast die Stimme, als er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr und murmelte, dass er nicht fassen könne, sie lebendig vor sich zu sehen. Mason winkte den anderen Wächtern vorzugehen, legte Corinne beschützend den Arm um die zierlichen Schultern und ging mit ihr den kopfsteingepflasterten Auffahrtsweg zum Anwesen hinauf.
Hunter blieb am Tor stehen und sah ihr nach.
Seine Aufgabe, sie sicher bei ihrer Familie abzugeben, war erfüllt. Jetzt konnte er zum Flughafen zurück, wo der Privatjet des Ordens auf ihn wartete und ihn zurück nach Boston bringen würde. Gleich würde Corinne Bishop wieder sicher im Dunklen Hafen ihrer Familie sein, und schon in wenigen Stunden konnte er sich wieder der wichtigeren Aufgabe widmen, Dragos und seine Armee von Gen-Eins-Killern zu verfolgen.
Und doch war da immer noch die Sache mit Miras Vision …
Als die Wächter ihres Vaters sie weiter den Zufahrtsweg hinaufführten, sah Corinne sich zu ihm um. Der kalte Wind erfasste ihr langes schwarzes Haar, dunkle Strähnen flatterten über ihre blassen Wangen und ihre Stirn. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber die Worte waren verloren, und der Wind nahm ihre Atemwolke mit sich fort. Ihr Blick verweilte auf ihm. Er spürte, wie dieser lange, gehetzte Blick ihn über die Entfernung hinweg suchte, so spürbar wie eine Berührung.
Er beobachtete, wie Corinne Bishop immer weiter von ihm fortgeführt wurde, und sah plötzlich wieder das tränenüberströmte Gesicht und die wilde Verzweiflung der Frau aus Miras Vision vor sich. Er hörte ihre Stimme voller Angst und Qual.
Bitte, ich flehe dich an …
Ich liebe ihn …
Du musst ihn am Leben lassen …
Während sein Verstand ihn daran erinnerte, dass die Sehergabe des Kindes sich noch nie geirrt hatte, meldete sich in Hunter jetzt ein hartnäckiges, unvertrautes Gefühl zu Wort. Der kluge Taktiker in ihm schlug vor, dass die Vision ein Rätsel war, das gelöst werden musste. Der Killer in ihm sagte, dass Miras Vision ihn zu einem Feind führen konnte, der entdeckt und eliminiert werden musste.
Aber es gab noch einen anderen Teil von ihm, und der sah in diesem Augenblick Corinne Bishop an, diese zarte Schönheit, die doch so stählern und unverwüstlich mit erhobenem Kopf aus Dragos’ Kerkern hervorgegangen war. Und er konnte nicht begreifen, dass offenbar er derjenige sein sollte, der sie endgültig zerbrach, wie er es in Miras Vision getan hatte.
Er spürte einen eigenartigen Respekt für sie, die in Dragos’ Klauen so Entsetzliches durchgemacht haben musste. Und was noch seltsamer war, er erkannte, dass nicht er derjenige sein wollte, der Corinne Bishop noch mehr Schmerz und Tränen verursachte.
Dieser irrationale, viel zu menschliche Teil von ihm war es, der ihn schließlich dazu brachte, den Blick von ihr abzuwenden, sich umzudrehen und wieder auf seinen Wagen zuzugehen, der am Ende des Zufahrtsweges auf ihn wartete. Wenn er jetzt ging, standen die Chancen gut, dass er dieser Frau nie wieder begegnete.
Er würde zurück nach Boston gehen, Vision hin oder her.
Als er die ersten Schritte tat, flog die Tür des Anwesens auf, und der herzzerreißende Schrei einer Frau gellte durch die Nacht. »Corinne! Ich muss sie sehen! Ich will meine Tochter sehen!«
Hunter blieb stehen und sah über die Schulter. Eine attraktive Brünette kam aus dem Haus gelaufen. Anscheinend hatte sie alles stehen und liegen lassen, war in einer weißen Satinbluse und einem engen dunklen Rock hinausgerannt, ohne sich einen Mantel überzuziehen. Ihre hohen Absätze klapperten auf dem rutschigen, kopfsteingepflasterten Auffahrtsweg, als sie schluchzend auf die Wächter und Corinne zulief, die inzwischen auf halber Höhe angekommen waren.
Corinne löste sich aus der Gruppe und lief ihr entgegen. »Mama!«
Die beiden Frauen umarmten einander unter Freudentränen und flüsterten heftig miteinander.
Victor Bishop folgte seiner erleichterten Stammesgefährtin auf dem Fuß. Der Vorstand des Dunklen Hafens kam schweigend aus dem Haus, sein Gesicht blass im Mondlicht, die schwarzen Brauen tief über seine dunklen, unverwandten Augen gesenkt. Ein erstickter Ruf drang ihm aus der Kehle. »Corinne …«
Sie sah auf, als er ihren Namen sagte und sich ihr zögerlich näherte. »Ich bin’s wirklich, Papa. Oh Gott … ich dachte, ich würde euch nie wiedersehen!«
Hunter beobachtete das Wiedersehen, hörte zu, als Corinnes erschütterter Vater
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