Gejagte Der Dämmerung -9-
dem dunklen Waggon umsah. Wie alle Angehörigen seiner Spezies sah er hervorragend im Dunklen. Von Chase keine Spur unter den schlafenden Männern und Frauen, auch nicht bei der kleinen Gruppe, die sich unter einer gemeinsamen Decke aneinanderkauerte und mit leeren Augen zu ihm aufstarrte.
Chase war nicht da, nicht einmal in der dunkelsten Ecke.
»Harvard«, sagte er und versuchte es trotzdem. Vielleicht war er ja doch da, und wenn er nur eine vertraute Stimme hörte …
Schweigen.
Er wartete einen Augenblick ab, ein Teil von ihm war betrübt über die gescheiterten Existenzen in diesem schmutzigen Güterwaggon und die anderen, die sich draußen über der Tonne mit dem brennendem Abfall das Hirn zudröhnten. Sie waren Fremde für ihn und dazu noch Menschen mit einer Lebenserwartung von nicht einmal hundert Jahren, aber in ihren verlorenen, hoffnungslosen Gesichtern sah er seinen Freund, Sterling Chase.
War es das, was Harvard bevorstand, wenn niemand seine Abwärtsspirale aufhalten konnte? Er wollte nicht darüber nachdenken, wollte sich nicht vorstellen, dass es schon so schlimm um ihn stand. Er wollte nicht glauben, dass Tegan und Lucan recht hatten und Chase dabei war, blutsüchtig zu werden. Es gab für einen Stammesvampir kein schlimmeres Schicksal, als der Blutgier zu verfallen und zum Rogue zu mutieren.
Und war man einmal verloren, gab es kaum noch Hoffnung.
»Verdammt«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Er sprang von dem Waggon auf den gefrorenen Boden bei den Gleisen und spürte beim Aufprall sein Handy in der Manteltasche.
Er zog es heraus und drückte die Kurzwahltaste. »Es ist sein Handy«, sagte er noch schnell zu Kade und hörte dann, wie es am anderen Ende zum ersten Mal klingelte. »Und wenn Harvard sich tatsächlich irgendwo hier rumtreibt, hat er vielleicht sein Handy an …«
Aus einigen Metern Entfernung ertönte ein leises Klingelgeräusch.
Kades hob die schwarzen Brauen, seine silbernen Augen blitzten. »Haben wir dich, Harvard.«
Sie sprinteten los, rasten beide über den Betriebsbahnhof auf das Klingeln zu.
Dante wollte nicht hoffen, ein kaltes Grauen warnte ihn davor. Denn selbst wenn er Harvard tatsächlich fand, würde ihm vielleicht nicht gefallen, was ihn erwartete, und das wusste er. Mit gemäßigter Erwartung führte er Kade von den Gleisen fort und zwischen zwei maroden Lagerhallen hindurch. Er musste den Anruf abrupt beenden, als das Telefon auf Mailbox umschaltete, und fluchte. Wieder drückte er die Kurzwahltaste, und nun ertönte das Klingelgeräusch sogar noch näher.
Hölle noch mal, sie mussten ihn praktisch schon erreicht haben.
Aber da war niemand. Keine Seele, nicht einmal ein Mensch.
Er und Kade rannten weiter, schneller, bis das Klingelgeräusch von Chases Handy in Stereo ertönte und von irgendwo ganz aus der Nähe kam.
»Da drüben«, sagte Kade und ging neben einem Haufen gefrorener Abdeckplanen in die Hocke. Er fing an zu graben und warf Müll in alle Richtungen, wühlte sich bis zum Boden des Haufens durch.
Dann wurde er langsamer und stieß einen Fluch aus, und Dante wusste, dass es eine Sackgasse war.
Kade hielt das Handy in die Höhe, sein Gesicht war vor Enttäuschung abgespannt, aber nicht überrascht. »Er hat uns abserviert, Mann. Er war hier, wie du gesagt hast. Aber er wollte nicht gefunden werden.«
»Harvard!«, schrie Dante und war in diesem Augenblick einfach nur stinksauer. Vor Sorge tat ihm der Magen weh, und sein Herz hämmerte wild. Jetzt schickte er seine Wut in alle Richtungen aus, wirbelte herum und suchte die Umgebung ab, auch wenn es gar nichts nützte. »Chase, gottverdammt noch mal, ich weiß doch, dass du hier bist. Sag was!«
Kade drückte den Anruf weg und ließ das Handy in seine Tasche gleiten. »Komm, lass uns hier verschwinden. Harvard ist fort.«
Dante nickte stumm. Letzte Nacht hatte Sterling Chase den Orden nach zahlreichen Pannen und dummen Ausflüchten verlassen. Und jetzt hatte er den besten Freund fallen lassen, den er bei den Kriegern hatte. Er kehrte seinen Brüdern den Rücken zu, und nach dem, was heute Nacht hier geschehen war, musste Dante zugeben, dass es Chase absichtlich getan hatte.
Der Harvard, den er kannte, hätte das nie getan.
Kade hatte recht.
Harvard war fort, wahrscheinlich für immer.
10
Seit seinem Anruf beim Orden und auf ihrer Rückfahrt zum Detroiter Flughafen hatte Hunter keine zwei Worte mit ihr gewechselt. Nicht dass Corinne nach Konversation gewesen
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