Gejagte Der Dämmerung -9-
Gier.
Und Chase spürte sie immer noch, obwohl er doch erst vor wenigen Stunden definitiv mehr getrunken hatte, als gut für ihn war.
Wütend starrte er den toten Menschen an, abgestoßen von seinem Anblick und Gestank. Er musste schleunigst hier raus. Während ihm schon wieder vor Hunger der Magen knurrte, zog Chase der Leiche den Mantel und dann das verblichene graue Sweatshirt und die ausgebeulten Jeans aus. Seine eigene Kleidung, die schwarzen Drillichhosen, die er trug, als er letzte Nacht das Hauptquartier des Ordens verlassen hatte, waren nach seinen ungezügelten Nahrungsaufnahmen blutgetränkt und ekelhaft. Er zog sie aus und zog die Sachen des Menschen an. Die Jeans und das Sweatshirt waren einem Angehörigen seiner Spezies eigentlich zu klein, und vermutlich waren sie nicht mehr gewaschen worden, seit ihr Vorbesitzer sie von der Heilsarmee bekommen hatte.
Aber das war Chase egal, solange er nur keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zog, indem er herumlief, als ob er jemanden ermordet hätte. Mit seinen ruinierten Sachen in einer Hand ging er zur Tür des Waggons hinüber, die einen Spalt geöffnet war. Er stieß sie weiter auf und starrte hinaus auf eine Szene, wie sie sich nur wenige Angehörige seiner Spezies freiwillig ansahen.
Gleißendes Sonnenlicht strahlte von einem hellblauen Morgenhimmel und glitzerte im dreckigen Schnee und gefrorenen Matsch des Betriebsbahnhofs. Trotz der Hässlichkeit seiner Umgebung war es ein Augenblick magischer Schönheit – zum ersten Mal die Sonne an einem kalten Morgen zu sehen, die dem Elend um ihn herum trotzte.
Sie trotzte sogar seinem brennenden Durst, sodass er innehielt und einfach nur diese wunderbare Welt betrachtete, in der er lebte und die ihm mit jedem heftigen Pulsschlag mehr entglitt.
Chase hob den Arm, um seine hochempfindlichen Augen von dem unglaublich grellen Licht abzuschirmen. Er sah zum Himmel auf und ließ sich von der ungewohnten wunderbaren Morgensonne das Gesicht wärmen.
Es begann zu brennen.
Schon bald begann die Sonne, ihn zu versengen.
Wie lange würde es dauern, bis sie ihn verzehrt hätte? Wohl etwa eine halbe Stunde, schätzte er und genoss das säureartige Brennen auf Wangen und Stirn. Dreißig Minuten, und es würde für ihn keinen Hunger mehr geben. Keine Scham mehr, keinen mühsamen Kampf mehr gegen den Abgrund, der so einladend, so gnädig dunkel und endlos schien.
Einen langen, qualvollen Augenblick dachte er ernsthaft darüber nach und fragte sich, ob seine Willenskraft stark genug dafür war.
Aber sogar hier versagte er.
Als sein Durst die Klauen tiefer in ihn schlug, sprang Chase von dem Güterwaggon auf den Boden. Er überquerte die Gleise und warf seine ruinierte Kriegermontur in den schwelenden Bauch einer rauchenden Mülltonne.
Dann schlich er sich schnell davon, um sich einen sicheren Ort zu suchen. Dort würde er auf den Abend warten, bis er endlich wieder auf die Jagd gehen konnte.
Sie waren in den frühen Morgenstunden in New Orleans angekommen und hatten sich ein Taxi vom Flughafen zu einem Hotel genommen, von dem Hunter annahm, dass es im Herzen des Touristenviertels lag. Der Straßenlärm und die Musik, die bis lange nach Sonnenaufgang zu ihrem Fenster im dritten Stock hinaufgedrungen waren, hatten ihn in ständiger Alarmbereitschaft gehalten, er lauschte wachsam auf das leiseste Anzeichen von Gefahr.
Nicht dass er die Absicht gehabt hatte, zu schlafen. Er brauchte so gut wie keinen Schlaf, höchstens eine oder zwei Stunden am Tag. So war er ausgebildet worden – sein Körper war rund um die Uhr einsatzbereit, sein Verstand ständig wachsam, um sofort reagieren zu können.
Corinne dagegen hatte nach ihrer Ankunft geschlafen wie eine Tote.
Er wusste, dass sie körperlich völlig erschöpft gewesen war. Auch ihre Psyche war völlig überstrapaziert. Aber auch wenn sie am liebsten in Tränen ausgebrochen und sich in unproduktivem Selbstmitleid gesuhlt hätte, hatte sie sich doch mit bemerkenswerter Kraft gehalten. Sie wirkte entschlossen, seit sie den Dunklen Hafen der Bishops verlassen hatten, sogar trotzig.
Sie hatte keine Einwände gehabt, als er ihr gesagt hatte, dass sie jetzt unter seinem Schutz stand, und auch kein unvernünftiges Getue veranstaltet, als er sie darüber informiert hatte, dass seine Mission für den Orden sie beide direkt auf feindliches Gebiet zu Henry Vachon führen würde, einem bekannten Verbündeten ihres Entführers und Folterers. Corinne schien fast begeistert von dem
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