Gejagte Der Dämmerung -9-
beigetreten bin.«
»Ach.« Sie schien überrascht, wirkte befremdet. »Du bist erst seit Kurzem bei ihnen.« Wieder sah sie auf den Tisch herab und wischte einige Brotkrümel zur Seite. »Wie lange hast du für Dragos gearbeitet?«
Jetzt war es an ihm, überrascht zu sein.
»In dieser ersten Nacht, im Dunklen Hafen von Claire und Andreas«, erklärte sie. »Jemand hat gehört, wie sie über dich geredet haben. Dass du früher für Dragos gearbeitet hast.« Sie beobachtete ihn genau, vorsichtig. »Ist das wahr?«
»Ja.« Sie wusste es ja sowieso schon. Warum hätte er sich jetzt also am liebsten die Zunge abgebissen? Warum hatte er plötzlich den Impuls, ihr zu versichern, dass er keine Gefahr für sie darstellte, auch wenn er Dragos einmal gedient hatte?
Das konnte er ihr nicht sagen. Denn in seinem tiefsten Inneren fragte er sich, ob es auch stimmte.
War er wirklich keine Gefahr für sie?
Miras Vision schien das Gegenteil zu besagen. Seit sie den Dunklen Hafen von Detroit verlassen hatten, hatte er sich einzureden versucht, dass sich die Vision durch seinen Kampf mit Victor Bishop bereits erfüllt hätte – wenn auch verändert und mit einem anderen Ergebnis als prophezeit.
Aber etwas daran stimmte nicht.
Die Visionen der kleinen Seherin waren bisher immer eingetroffen. Er wäre dumm zu denken, dass es jetzt anders sein könnte, nur weil er plötzlich von der schönen Corinne fasziniert war, die so viel Schlimmes durchgemacht hatte.
Er hörte, wie sie schnell, aber leise den Atem ausstieß, als sie seine ehrliche Antwort in sich aufnahm. Statt sich auf dem kleinen Tisch nach vorne zu lehnen, bemerkte er, dass sie sich jetzt langsam vor ihm zurückzog, bis sie mit dem Rücken an der Stuhllehne angekommen war. Einen langen Augenblick schwieg sie und starrte durch das dämmrige Licht und den leichten Dunst, der über dem Raum hing.
»Wie lange hast du ihm gedient?«, fragte sie, jetzt auf der Hut.
»So lange ich mich erinnern kann.«
»Aber jetzt nicht mehr«, sagte sie und musterte sein Gesicht. Vermutlich suchte sie darin nach einem Zeichen, dass sie ihm vertrauen konnte.
Er hielt sein Gesicht absichtlich neutral und versuchte zu entscheiden, ob womöglich sie etwas vor ihm zu verbergen hatte. »Jetzt tue ich für den Orden, was ich früher für Dragos getan habe.«
Ihre Augen hielten seinem Blick stand, als es ihr aufging. »Du tötest für ihn«, sagte sie düster.
Hunter nickte zustimmend. »Ich will, dass Dragos ausgelöscht wird und alle, die ihm dienen, und wenn ich ihn und jeden seiner Anhänger einzeln jagen und zur Strecke bringen muss.«
Er stellte nur eine Tatsache fest, aber jetzt sah Corinne ihn mit einem seltsam weichen Gesichtsausdruck an, und in ihrem Blick lag eine Frage. »Was hat Dragos dir angetan, Hunter?«
Zu seiner eigenen Verblüffung merkte Hunter, dass er die Worte nicht aussprechen konnte. Er hatte nie ein Problem damit gehabt, von der Isolation und dem gnadenlosen Drill seiner Kindheit und Jugend zu erzählen. Weder war er sich selbst wichtig genug gewesen, noch hatten andere ihm so viel bedeutet, um ihnen gegenüber auch nur einen Anflug von Demütigung dafür zu spüren, dass er wie ein Tier gehalten und aufgezogen worden war – schlimmer noch als ein Tier.
Als Gen Eins hatte er sich nie seiner Abstammung geschämt – er war gezeugt von einem Ältesten, dem letzten Außerirdischen, der zusammen mit seinen Brüdern die ganze Vampirrasse auf Erden gezeugt hatte. Dragos hatte den mächtigen Vampir jahrzehntelang in einem Versteck unter Drogen gehalten und in seinem Labor eingekerkert. Und er hatte die wilde Kreatur auf zahllose gefangene Stammesgefährtinnen losgelassen, so auch auf Corinne und all die übrigen kürzlich befreiten Frauen.
Und auch auf die unbekannte Stammesgefährtin, die Hunter in diesen stinkenden Zellen geboren hatte.
Er hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden war, hatte keinerlei Erinnerung an sie. Aber als er jetzt Corinne Bishop ansah, auf deren zartem Rücken er diese schrecklichen Folterspuren gesehen hatte, spürte Hunter eine tiefe Scham und hätte am liebsten geleugnet, jemals mit Dragos oder den Schrecken seines Labors zu tun gehabt zu haben.
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. »Mach dir keine Gedanken, was Dragos mit mir gemacht hat«, antwortete er ihr. »Es war nicht schlimmer als das, was er dir angetan hat.«
Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. Selbst im Dunkeln konnte er sehen, wie ihr die Röte in die Wange stieg. Zweifellos
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