Gejagte Der Dämmerung -9-
schlimmste dieser Erinnerungen zurückzudrängen – wie Corinne als hilfloses junges Mädchen in der Nacht ihrer Entführung von den beiden Stammesvampiren vergewaltigt und gefoltert worden war. Stattdessen konzentrierte Hunter sich nun auf eine völlig andere Erinnerung, die er Henry Vachon in den letzten Augenblicken seines Lebens ausgesaugt hatte.
Als er seinen letzten Atemzug getan hatte – und Hunter hatte dafür gesorgt, dass er die größtmöglichen Todesqualen ausstand –, hatte Vachons Blut ihm die Adresse eines Lagerhauses in der Nachbargemeinde Metairie gezeigt. Dorthin hatte er in den letzten Monaten einen Teil der Ausrüstung aus Dragos’ überstürzt abgebautem Labor liefern lassen.
Die Firma war günstig in Autobahn- und Schienennähe gelegen. Der flache weiße Backsteinbau lag an einer Straßenecke neben einem leer stehenden Bürogebäude, gegenüber einem zweigeschossigen Wohnblock. Hunter bewegte sich geräuschlos über den mondhellen, eingezäunten Firmenparkplatz, vorbei an einigen Miet-LKWs und dauergeparkten Wohnmobilen, die sich den schwachen gelben Lichtkreis einer einzigen Sicherheitslampe teilten. So spät war der Laden bereits geschlossen, das Rollgitter hinter den Glastüren an der Gebäudefront heruntergelassen.
Hunter flitzte an der Überwachungskamera vorbei, die an der oberen Ecke der Fassade montiert war, und ging um das Gebäude herum. Auf halbem Weg fand er eine Metalltür mit der Aufschrift Kein Zugang , packte den Türgriff und verbog ihn, bis der Mechanismus des Schlosses brach. Dann schlüpfte er hinein und suchte sich die Nummer des Lagerabteils, die Vachons Blut ihm geliefert hatte.
Es war am rückwärtigen Ende der Halle gelegen. Hunter riss das massive Vorhängeschloss mit einem kräftigen Ruck los, öffnete die Tür aus verstärktem Stahlblech und trat in die etwa dreizehn Quadratmeter große Zelle. Als er über die Schwelle trat, spürte er ein schwaches Vibrieren in seinem Innenohr, sah hinunter und merkte, dass er mit dem Fuß den stummen Alarm eines Bewegungsmelders ausgelöst hatte. Ihm blieb wohl nicht viel Zeit, bis jemand darauf reagierte.
Zum Glück gab es im Lagerabteil nicht viel zu sehen. Direkt neben dem Eingang stand ein feuerfester Safe, und im hinteren Teil zwei gedrungene runde Behälter aus rostfreiem Stahl mit hydraulischem Vakuumverschluss, der aussah wie ein Lenkrad aus poliertem Metall. Er erkannte die Behälter aus Henry Vachons Erinnerungen wieder, aber auch ohne seine Gabe hätte er gewusst, welchem Zweck sie dienten.
Tieftemperatur-Lagerbehälter.
Sie waren an ein riesiges tragbares Stromaggregat angeschlossen, und laut einer Digitalanzeige betrug die Innentemperatur minus 150 Grad Celsius. Hunter öffnete den Verschluss des Behälters, der ihm am nächsten war, und hob den schweren Deckel. Eisige Wolken von flüssigem Stickstoff quollen aus der Öffnung. Hunter wedelte sie beiseite und sah hinein auf unzählige Glasröhrchen im Kälteschlaf. Er brauchte keine herauszuziehen, um zu wissen, dass sie Zell- und Gewebeproben aus Dragos’ Geheimlabor enthielten. Die Resultate von Experimenten und Gentests, wie Hunter nur raten konnte, als er die unzähligen Glasröhrchen anstarrte, die sorgfältig in mehreren Reihen im Behälter aufgeschichtet waren.
Ebenso verblüfft wie abgestoßen wandte Hunter seine Aufmerksamkeit dem kleinen Safe zu. Er brach ihn auf und fand einen Stapel Aktenordner und Fotos sowie eine Handvoll USB-Sticks darin.
Er musste das alles, den gesamten Inhalt von Vachons Lagerabteil, dem Orden bringen.
Mit diesem Ziel im Sinn ging er zum Parkplatz nebenan hinüber und schloss einen der Laster kurz, die draußen im Dunklen standen, fuhr ihn zum Seiteneingang und ließ ihn dort stehen, während er ins Lagerabteil zurücklief, um die Sachen zu holen.
Er hatte bereits den Safe und einen der Lagerbehälter in den Kastenwagen geladen und war eben dabei, wieder umzukehren und den letzten zu holen, als er merkte, dass er nicht allein war. Der stumme Alarm war offenbar direkt zu Dragos gegangen, denn draußen vor dem offenen Lastwagenanhänger kauerte ein Gen-Eins-Killer in Kampfposition.
Der riesige Mann drückte sich auf den Fußballen ab und sprang nach vorne, bildete in seiner Kampfmontur eine pechschwarze Silhouette gegen den Nachthimmel. Er prallte gegen Hunter und warf sie beide weiter in den Laster hinein. Sie fielen gegen den Behälter, und unter der Wucht ihres Aufpralls erklang der rostfreie Stahl wie eine
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