Gekapert
Sohn.«
»Macht doch keinen Unterschied. Neffe, Sohn, Stiefsohn!«
Natürlich ist das ein Unterschied, aber Ahl schweigt.
»Ich machte mir Sorgen, daß Namenlos vielleicht denken könnte, du wärst zu gefühlsduselig, irrational oder schwer zufriedenzustellen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie du es dir vorstellst. ›Mein Sohn‹ ist etwas anderes als ›mein Neffe‹. Keine Ahnung, ob du das sinnvoll findest, aber so war mein Gedankengang. Jedenfalls habe ich es deinetwegen getan. Damit die Dinge ins Rollen kommen.«
Wieder denkt Ahl, daß er für diese Art Unternehmung weniger geeignet ist als Malik, der schon afghanische Drogenbarone und pakistanische Talibanführer interviewt hat. Dazu ist eine Vertrautheit mit kriminellen Denkweisen nötig, die jenseits seines Erfahrungsschatzes liegt. Falls er einmal eine Lüge von sich gibt, dann wird er wahrscheinlich bereit sein, eine zweite und eine dritte zu erzählen, und dann ist kein Ende abzusehen.
»Ich werde die Sache bei Namenlos gleich richtigstellen. Lügen kommen mir nicht leicht über die Lippen, zudem müßte ich ständig aufpassen, was ich sage.«
»Mach das, wie du denkst«, rät ihm Fidno.
Sie kommen durch ein düsteres Dörfchen mit ein paar wenigen Läden, Stein auf Holzsockel, die Zinkdächer mehrfarbig gestrichen, überwiegend blau. Werbetafeln preisen Zigaretten, Limonade, Milch und andere Produkte an, dienen wahrscheinlich eher Dekorationszwecken, als daß die Waren tatsächlich vorhanden sind. Mittlerweile kriechen sie im Schneckengang dahin, und Ahl sieht Grüppchen von drei oder vier Leuten, die sie neugierig beäugen. Er kann sie sogar hören, ein Stimmengewirr aus Kishuaheli, Oromo, Tigrinisch, gebrochenem Arabisch, wie es im Jemen zu hören ist, und Somalisch. Ein Mikrokosmos des Horns von Afrika, kosmopolitisches Elend geprägt von gnadenloser Armut.
Minibusse pendeln nach Bosaso, junge Männer und Frauen laufen die Straße entlang, manche werden in Fahrzeugen mitgenommen, die anderen gehen zu Fuß, fast alle hier sind jung, und es gibt mehr Männer als Frauen.
»Als wir vorüberfuhren, konnte ich Amharisch, Kisuaheli und Tigrinisch hören«, sagt Ahl. »Wie sind all diese Leute denn bloß hierhergekommen?«
»Äthiopier, Eritreer und Somalier aus dem Süden benötigen zu Fuß mehrere Tage hierher«, erklärt Fidno. »Die Kenianer und Tansanier kommen entweder mit dem Boot oder dem Flugzeug. Aber bloß ein paar wenige schaffen es bis in den Jemen. Die Besitzer der Fischerboote werfen nämlich, um eine eventuelle Beschlagnahmung ihrer Boote zu vermeiden, vor der Anlandung drei Viertel ihrer Passagiere über Bord.«
Um einen Pick-up mit geöffneter Ladeklappe hat sich eine Gruppe junger Männer versammelt. In der Nähe hat eine Frau einen Stand aufgebaut. Ahl stellt fest, daß sie qaat verkauft. Und tatsächlich hat einer der Jugendlichen ein Bündel in der Hand, einige seiner Kumpel folgen ihm, bitten ihn, ihnen einen Teil davon abzugeben.
»Sag mir, wie du ihnen Taxliil beschrieben hast«, bittet Ahl.
»Als klugen Burschen mit großer Sprachbegabung, untadeligen Manieren, der den Auftrag hat, ausländische Al-Schabaab-Rekruten zu empfangen, die sich dem Aufstand in Somalia anschließen werden.«
»Und wie kommt Namenlos hier ins Spiel?«
»Es ist für Bootsbesitzer finanziell sinnvoll, daß die Boote nicht leer zurückkehren, wenn sie die Flüchtlinge an der jemenitischen Küste abgesetzt haben«, erklärt Fidno. Ahl überlegt, welchen Vorteil dies für die verschiedenen Gruppierungen hat, die sich außerhalb des Gesetzes bewegen. Eine Zusammenarbeit zwischen den Piraten und Extremisten ist sinnvoll, nicht nur des Gewinns wegen, sondern auch zur beiderseitigen Sicherheit.
Sie haben das Dorfende erreicht. Je weiter sie nach Süden kommen, desto trostloser, verbrannter wird die Landschaft. Plötzlich frischt der Wind auf und bringt Meeresluft mit sich. Die Vegetation ist karg, hauptsächlich Dornengestrüpp, nur wenige Bäume bieten den Menschen Schatten und den Kamelen Futter. Ein kleiner Junge im Sarong kaut auf einem Zweig herum und schaut verloren drein, seine Kamele knabbern laut mahlend an den Baumkronen. »Zwischen diesem kleinen somalischen Nomaden, der seine Tiere hütet, und den Flüchtlingen, die übers Meer wollen, besteht ein himmelweiter Unterschied, findest du nicht?« meint Ahl.
»Glaubst du etwa, daß der Nomade mit seinem Leben zufrieden ist, bloß weil er nichts Besseres kennt?« fragt Fidno zurück.
»Ich
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