Gekapert
immer noch aufgeregt ist, mit seiner Schimpftirade noch nicht zu Ende ist.
»Ich weiß, was es bedeutet, in den Krieg zu ziehen und ihn zu verlieren«, sagt er. »Ich habe 1977 als Major der damaligen Armee im äthiopisch-somalischen Krieg gekämpft. Damals war Somalia viel stärker, unsere Armee gehörte zu den schlagkräftigsten des Kontinents, und trotzdem verloren wir den Krieg und wurden aus Ogaden vertrieben. Von dieser Katastrophe, die letztendlich auch zum jetzigen Konflikt führte, haben wir uns immer noch nicht erholt.«
»Opa, wir wären soweit, du auch?«
Dajaal ist immer noch aufgebracht. »Männer wie Gumaad und der sogenannte Verteidigungssprecher der Union, die in ihrem ganzen Leben noch kein Gewehr in der Hand gehabt haben, haben kein Recht, den Namen Allahs für eine schlecht geplante Sache zu mißbrauchen.«
Qasiir zieht Dajaal an der Hand hinter sich her, und schweigend gehen sie zum Auto. Ob er fahren solle, fragt Qasiir, woraufhin Dajaal scharf erwidert: »Ich bin wütend, aber nicht gemeingefährlich. Ich bin wütend über das, was diese Männer von der Union unserem Land antun.«
Er setzt sich hinter das Steuer, wird schnell ruhiger, als er sich auf seine nächste Aufgabe konzentriert. Beim Ausparken legt er den Rückwärtsgang ein und stößt gegen das hinter ihnen parkende Fahrzeug. Es sieht Dajaal gar nicht ähnlich, so unachtsam zu sein, nicht auszusteigen und den Schaden zu begutachten, den er an einem fremden Auto verursacht hat. Aber die Welt ist nicht mehr das, was sie einmal war, und auch Dajaal ist nicht mehr der Mensch, der er noch vor einer Stunde war.
Kaum sind sie um die Ecke gebogen, zeigt sich ihnen ein bekanntes Bild: Männer und Frauen verlassen ihre Häuser, tragen ihr Hab und Gut auf den Köpfen. Ameisengleich flüchten die Menschen vor dem drohenden Feuer, wollen nicht darin verbrennen. Einmal kann er gerade noch den Zusammenstoß mit einem schwerbeladenen Esel vermeiden, der sich den Anstrengungen eines Mädchens widersetzt, das ihn an einem um den Hals gebundenen Strick vorwärtszuzerren versucht.
Der Strom der Flüchtenden wird breiter und kürzer, wie Schatten, deren Breite und Kürze von der Tageszeit bestimmt wird. Sie nähern sich dem Markt – Malik macht sich die ganze Zeit über hastig Notizen –, aus dem ihnen Menschen entgegenkommen, die mit Lebensmitteln für mehrere Tage bepackt sind. Einige der Frauen, die teure Körperzelte tragen, steigen in SUV s ein. Qasiir stellt fest, daß es sich dabei um Menschen handelt, die die Stadt vermutlich nicht verlassen werden, aus Angst, andere könnten sich in ihrem Eigentum einnisten oder es mutwillig beschädigen.
Malik blickt von seinem Notizbuch auf, und als Dajaal den Wagen parkt, hört er auf zu schreiben, und sie betreten den Markt.
A hl sitzt auf dem Beifahrersitz, Warsame fährt und Fidno sitzt hinten. Warsame rast über eine Kreuzung und weicht einer Ziege aus, die die Straße überquert, erwischt sie aber trotzdem mit dem Kotflügel. Die Ziege, deren Rippen und Hüftknochen stark hervortreten, schwankt hin und her, als überlegte sie, ob sie sich auf den Beinen halten kann, sie atmet schwerfällig. Dann gewinnt sie ihr Gleichgewicht wieder, macht einen Schritt und bleibt stehen. Warsame hat am Straßenrand angehalten, und Ahl schlägt vor, eine Minute zu warten. Warsame legt aber schon den Gang ein, bereit anzufahren, falls sich die Menge, die zu beiden Seiten des Autos vorbeiströmt, zu einem wütenden Mob zusammenrotten sollte. Ahl öffnet die Beifahrertür, aber genau in dem Moment, in dem er aussteigen will, um zu sehen, wie es dem Tier geht, fährt Warsame an, und Ahl schließt die Tür.
»Ich wünschte, wir hätten gewartet«, sagt Ahl.
»In dieser Gegend hat jeder Angst, einen Fehler zu machen, der verhängnisvoll sein könnte«, sagt Fidno. »An einem Ort, an dem Recht und Gesetz völlig außer Kraft gesetzt sind, muß man vor wildgewordenen Menschenmassen auf der Hut sein. Wenn man nicht vorsichtig ist, kann man in heikle Situationen geraten. Ich spreche von Menschenmengen, die durch ihre überzogene Gier zum wütenden Mob werden.«
Warsame, sichtlich verwirrt, hält sich heraus.
»Menschenmenge, was für eine Menschenmenge?« fragt Ahl herausfordernd. »Da war doch keine Menschenmenge. Soweit ich es beurteilen kann, liefen ein paar Leute herum und kümmerten sich um ihre Angelegenheiten. Männer und Frauen, die einkauften oder verkauften, junge Männer, die in Grüppchen zusammenstanden
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