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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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geschlafen und könnte eine längere Pause gebrauchen.
    Warsame wirft etwas von dem qaat nach hinten zu Fidno auf den Rücksitz. Fidno fängt das Bündel auf, wählt einen zarten Trieb aus und kaut.
    Die Straßen sind staubig und überall herrscht Bewegung. Ziegen laufen von einer Seite zur anderen, und Menschen überqueren ohne auf mögliche Gefahren zu achten beinahe selbstmörderisch die Fahrbahn. Warsames Fuß schwebt ständig über dem Bremspedal. Wegen des Staubes hält er die Fenster geschlossen und hat die Klimaanlage eingeschaltet. Trotzdem dringen laute Musik und die Rezitation von Koransuren zu ihnen. Die Gebäude, an denen sie vorbeifahren sehen ebenso ärmlich aus, wie jene auf dem Weg vom Flughafen; manche Wände bestehen lediglich aus Zinkblech, andere aus Wellaluminium, die meisten haben keinen Anstrich. Manchmal ist der Himmel wegen der Stromkabel, die wie Wäscheleinen zwischen den Häusern hängen, kaum zu sehen.
    »Willst du auch was?« fragt Warsame.
    Ahl schüttelt den Kopf.
    »Ich bin beeindruckt, daß du dir im Jemen, wo du geboren und aufgewachsen bist, das qaat -Kauen nicht angewöhnt hast. Vor allem weil die Pflanze dort zu den wichtigsten Exportgütern zählt«, meint Fidno.
    Daß Fidno so gut über ihn Bescheid weiß, bestürzt Ahl ein wenig, aber er beschließt, ruhig zu bleiben; er wird zu einem späteren Zeitpunkt herausfinden, warum das so ist. »Ich habe noch nie qaat gekaut«, sagt er.
    »Haben dich vielleicht deine Eltern davon abgehalten?« fragt Fidno. »Wollten als Auswanderer wahrscheinlich, daß es ihre Kinder zu etwas bringen.«
    » Qaat -Kauen gehörte nie zu den Freizeitbeschäftigungen in unserer Familie«, antwortet Ahl. »Wir trieben viel Sport, wir lasen jede Menge, wir spielten Schach. Es gab immer etwas, womit wir uns beschäftigen konnten.«
    Aus Respekt vor Warsame, seinem Gastgeber, fügt Ahl nicht hinzu, daß er die Vorstellung, den Großteil des Tages mit dem Kauen grüner Blätter zu verbringen und tatenlos herumzusitzen, höchst verwerflich findet.
    »Was ist mit deiner Frau, Warsame?«
    »Fürs Dasitzen und Kauen fehlt ihr die Geduld.«
    Recht so, denkt Ahl, denn er freut sich darauf, Xalan, Yusurs beste Freundin, beinahe so etwas wie eine Schwester, kennenzulernen. Yusur hat Xalan als eindrucksvolle Frau beschrieben, intelligent, loyal, das Herz auf dem rechten Fleck. Während die Männer ihr qaat genießen, wird er sich mit ihr unterhalten.
    »Ich wußte gar nicht, daß du hier einen Freund hast«, sagt Warsame an Ahl gerichtet. »Wie heißt er mit vollständigem Namen, und wie lange kennt ihr euch schon?«
    »Er heißt Ali Ahmed Fidno«, sagt Ahl.
    Er könne sich nicht daran erinnern, ihn je gesehen zu haben, sagt Warsame. »Er muß neu in der Stadt sein.« Ahl findet es amüsant, daß Warsame immer noch in der dritten Person von Fidno spricht.
    »Tja, jetzt ist er jedenfalls hier«, sagt Ahl. »Er ist gesund und munter, sitzt als Gast in deinem Auto und fährt mit uns zu dir nach Hause.«
    »Das ist schön«, sagt Warsame wenig überzeugend. Ahl ist sich nicht sicher, was Xalan von Fidno halten wird. Wird sie seinem Charme erliegen, dem geheimnisvollen Mann, der aus dem Nichts in ihr Leben tritt?
    »Erzähl mir mehr über deinen Freund«, sagt Warsame.
    Ahl steht vor einem Problem. Wie stellt man einen Mann, den man kaum kennt, dem Ehemann der besten Freundin der eigenen Ehefrau vor, den man auch gerade erst kennengelernt hat? Warsame scheint jedenfalls sehr bodenständig zu sein, und auch wenn ihm Fidno sympathisch ist, hat er nur wenige Menschen getroffen, die derart zwielichtig und schwer zu fassen sind. »Das kann dir Fidno selbst viel besser erzählen, als ich es je könnte.«
    »Ursprünglich stamme ich aus der puntländischen Hauptstadt«, sagt Fidno.
    »Sind Sie auch in Garowe aufgewachsen?«
    »Ich wurde aufs Internat nach Qardho geschickt.«
    »Und dann?«
    »Danach ging ich in Europa auf die Universität.«
    Warsame versucht herauszufinden, zu welcher Familie Fidno gehört, zu welchem Zweig, damit er seine Clanzugehörigkeit herausfinden kann. »Wessen Name oder Spitzname ist Fidno? Ihrer, der Ihres Vaters oder Ihres Großvaters?«
    »Meiner«, antwortet Fidno.
    Erst jetzt kommt Ahl der Gedanke, daß Warsame niemanden in seinem Haus haben möchte, für dessen Identität er sich nicht verbürgen kann. Xalan wird ihn sehr wahrscheinlich entweder in der Küche zur Seite nehmen oder im Schlafzimmer unter vier Augen sagen: »Was ist das denn für ein

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