Gekapert
Kerl, den du uns da ins Haus geschleppt hast?«
»Wo leben Sie jetzt?«
»Seit kurzem zwischen Mogadischu und Nairobi.«
»Was ist Ihr Beruf?«
»Ich habe in Deutschland Medizin studiert.«
»Wo haben Sie Ihre Praxis?«
»Ich hatte ein paar Probleme«, erwidert Fidno, »und war gezwungen, meine Praxis zu schließen. Ist eine verzwickte Geschichte, die ich mir fürs nächste Mal aufhebe.«
Warsame wiederholt den Namen Ali Ahmed Fidno, als steckte hinter der Abfolge ein Sinn, verändert dann die Reihenfolge, rattert sie schneller und schneller herunter, wirbelt sie mit der Zunge umher, als trügen sie ein Geheimnis in sich. Als sie keines preisgeben, versucht er erfolglos den Namen auf diese und jene Weise beizukommen. »Jeder Familienname hat seine eigene Geschichte«, sagt er, »und ich bezweifle, daß ich diese kenne. Aber vielleicht Xalan. Sie kennt alle Familien und die dazugehörenden Geschichten.«
Warsame hält vor einem Tor, hupt, und ein Mann im Kampfanzug öffnet. Vorsichtig lenkt Warsame den Wagen hinein, parkt neben der Tür, steigt aus und gibt dem Mann im Kampfanzug, nachdem er das Tor geschlossen hat, ein paar Bündel qaat.
Ahl steigt aus und sieht eine Frau mit graziösem Gang und reizendem Lächeln auf sich zukommen, die bereit scheint, ihn in die Arme zu schließen. Sie gefällt ihm gut, und Ahl ist äußerst angetan davon, daß sie seine Hand genommen hat. Er freue sich sehr, hierzusein, nuschelt er.
Gerade als sie ihn ins Haus führen will, seine Hand in der ihren, sieht sie Fidno aus dem Wagen steigen. »Wie heißt dein Freund, mein Lieber?« fragt Xalan.
Bevor Ahl ein Wort sagen kann, tut Warsame kund: »Der Name unseres Freundes lautet Ali Ahmed Fidno.«
Xalan ist an Fidno jedoch nicht besonders interessiert; sie hält ihn nicht für einen Freund Ahls, sondern für einen Bekannten ihres Mannes, der mitgekommen ist, um ihm beim qaat- Kauen Gesellschaft zu leisten. Warsame hat die Angewohnheit, alle möglichen Männer anzuschleppen, die dann mit ihm qaat kauen. »Laß mich dich vorstellen«, sagt er, und sie tauscht eine flüchtige Begrüßung mit dem Mann aus. Dann marschiert sie davon, zerrt Ahl ins Haus und ins Eßzimmer, in dem der Tisch bereits für Gäste gedeckt ist.
Das Zimmer ist groß und freundlich. In einer Vase stehen sogar Blumen – Gott weiß, wo sie die in Bosaso zu dieser Jahreszeit überhaupt gefunden hat. Der Tisch ist für drei gedeckt und mit Familienerbstücken dekoriert. Seit Tagen hat Xalan dieses Mittagessen geplant – geplant, daß sie und Warsame mit Ahl zu Mittag essen, im Familienkreis. Natürlich gibt es keine richtige Familie mehr, nur noch sie beide, die Kinder sind erwachsen und haben das Haus verlassen. So hat sie es in Erinnerung: Warsame am Kopfende des Tisches, die Kinder zu beiden Seiten, und sie erzählen einander, was sie den Tag über erlebt haben. Das ist Normalität. Mogadischu in Friedenszeiten. Toronto, während der kurzen, schönen Familienzusammenkünfte, wenn Warsame sie dort besuchte, um Zeit mit den Kindern zu verbringen. Heute, wie treu sie einander auch sein mögen, sind sie keine richtige Familie mehr. Warsame weiß, wie sehr sie es haßt, wenn er sich in seinem Zimmer zum qaat -Kauen einschließt, aber er kann nicht damit aufhören. Diesen Menschen wäre es egal, wenn die Welt in Flammen aufginge, denkt sie, wenn ihr Haus über ihnen zusammenstürzte, sie brauchen täglich ihr qaat .
»Setz dich hin, mein Lieber.« Xalan führt Ahl zu einem Stuhl.
Sie kann spüren, daß Ahl sich unbehaglich fühlt. Wahrscheinlich verwirrt ihn die Situation zwischen ihr und Warsame, jeder rauscht in eine andere Richtung davon, sie mit ihm, er mit Fidno. Ihn plagt das schlechte Gewissen, weil er Fidno eingeladen und Xalan dies nicht erklärt hat. Seine Schuld, er ist für die peinliche Situation verantwortlich. Der Fehler liegt bei ihm, daran gibt es nichts zu deuteln.
Er stellt seine Laptoptasche in eine Ecke und sagt zu Xalans Rücken gewandt, während sie in die Küche geht und den Ofen öffnet, in dem sie das Essen warmgestellt hat: »Yusur läßt dich grüßen.«
Sein Blick wandert umher, fällt auf etliche Inhalatoren in einem Körbchen auf dem Kaminsims und ein paar weitere, die in Reichweite von Xalans Stuhl stehen.
»Dies ist dein erster Besuch in Puntland, stimmt’s?« sagt sie.
»Stimmt«, erwidert er.
»Soweit ich aus Yusurs Erzählungen verstanden habe, bist du zum ersten Mal hier in der Gegend, wo somalisch gesprochen wird«,
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