Geklont
einfach nicht imstande, mit dir Schritt zu halten, Ari, und du wirst von jetzt an wirklich vorsichtig mit ihr sein müssen. Du wirst größer, du wirst immer schlauer, und die arme Nelly meint, es sei ihre Pflicht, mit dir mitzuhalten. Die Ärzte werden ihr sagen, daß es nicht ihre Schuld ist. Nelly muß sich an viele Dinge gewöhnen. Aber du solltest daran denken, ihr nicht weh zu tun.«
»Das tu ich auch nicht. Ich wußte nicht, daß der Käfer sie so erschrecken würde.«
»Wenn du nachgedacht hättest, wärst du draufgekommen.«
»Kann sein«, murrte sie. Es war ein einsamer Morgen ohne Nelly. Aber wenigstens war Nelly in Ordnung. Ari strich etwas Butter auf ihr Brötchen. So schmeckte es besser.
»Unter anderem wird sich Nelly daran gewöhnen müssen«, erklärte Onkel Denys, »daß in unserem Haushalt noch zwei Azis leben werden.«
Sie sah Onkel Denys an und freute sich nicht sonderlich darüber. Seely war schlimm genug.
»Sie werden zu dir gehören. Sie sind noch zu deinem Geburtstag. Aber das darfst du ihnen nicht sagen: Menschen sind keine Geburtstagsgeschenke. Das ist nicht nett.«
Sie schluckte einen großen Bissen von dem Brötchen hinunter. Sie freute sich überhaupt nicht darüber, sie wollte nicht noch mehr Azis, die ihr wie Nelly überallhin folgten, aber wenn es eine Art Geschenk war, wollte sie auch nicht Onkel Denys' Gefühle verletzen, aus vielerlei Gründen. Sie überlegte rasch und versuchte einen Weg zu finden, wie sie nein sagen konnte.
»Deshalb brauchst du heute nicht zum Bandstudium«, sagte Onkel Denys. »Du gehst rüber in die Klinik und holst sie ab. Und du kannst den Tag damit verbringen, ihnen zu zeigen, was sie zu tun haben. Sie sind nicht wie Nelly. Sie sind Alphas. Experimentelle.«
Ein großer Schluck Orangensaft. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. Alphas gab's nur wenige. Es war unheimlich schwierig, sie zu betreuen. Sie zweifelte nicht daran, daß sie sie überwachen sollten. Das hörte sich ganz danach an, als wollte Onkel Denys es ihr wirklich schwer machen, irgend etwas Unerlaubtes zu tun. Sie war sich nur nicht sicher, ob dieses Geschenk von Onkel Denys oder von Onkel Giraud kam.
»Du gehst zur Anmeldung und gibst deine Karte den Leuten vom Sicherheitsdienst, und sie werden die beiden auf dich übertragen. Du wirst praktisch ihr Aufseher sein, und das ist etwas ganz anderes als bei Nelly. Nellys Aufseher bin ich. Du bist nur ihr Pflegling. Das ist ein großer Unterschied. Weißt du, was ein Aufseher macht? Weißt du, welche Verantwortung er trägt?«
»Ich bin ein Kind«, protestierte Ari.
Onkel Denys kicherte und bestrich ein weiteres Brötchen mit Butter. »Das stimmt. Das sind die beiden auch.« Er hob ernst den Blick. »Aber sie sind keine Spielzeuge, Ari. Du begreifst doch, welche ernsten Folgen es haben kann, wenn du wütend auf sie wirst, oder wenn du sie so schlägst, wie du Amy Carnath geschlagen hast.«
»Das würde ich nie tun!« Man schlug keinen Azi. Man schneuzte sie nicht an. Außer Ollie. Und Phaedra. Aus unterschiedlichen Gründen. Aber sie waren beide etwas Besonderes, selbst Phaedra.
»Das traue ich dir auch nicht zu, Ari. Aber ich möchte nur, daß du dir das durch den Kopf gehen läßt, bevor du ihnen weh tust. Und das kannst du. Du könntest ihnen wahnsinnig weh tun, viel mehr als Nelly - so wie nur ich Nelly weh tun könnte. Verstehst du?«
»Ich weiß gar nicht, ob ich sie will, Onkel Denys.«
»Du brauchst andere Kinder, Ari. Du brauchst jemanden in deinem Alter.«
Das stimmte schon. Aber es gab niemanden, der sie nicht verrückt machte. Und es würde schrecklich sein, wenn es bei ihnen genauso war, denn sie würden hier wohnen.
»Der Junge heißt Florian, das Mädchen Catlin, und sie haben Geburtstag, jedenfalls bald. Sie werden in dem Zimmer neben dir und Nelly wohnen, dafür war es immer gedacht. Aber sie werden gelegentlich für ihre Unterrichtsstunden in die Stadt zurückmüssen und im Haus ein Bandstudium absolvieren, genau wie du. Sie sind Kinder wie du, und sie haben Instrukteure, auf die sie hören müssen. Sie sind sehr schnell. In vielen Dingen sind sie dir voraus. Das ist so bei Azis, besonders bei den klugen. Du wirst dich also anstrengen müssen, um mit ihnen mitzuhalten.«
Jetzt hörte sie zu. Niemand hatte ihr je gesagt, daß sie nicht in allem die Beste sei. Sie glaubte nicht, daß es die beiden Azis sein konnten. Bestimmt nicht. Es gab nichts, was sie nicht tun konnte, wenn sie wollte. Das hatte Mama
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