Geködert
einer Schranke hinter einem Jeep der U.S. Army, der das Recht der Siegermächte, in beiden Teilen der Stadt zu patrouillieren, demonstrierte. Die DDR-Wachen waren immer langsam. Alles brauchte seine Zeit. Insbesondere hier. Es sollte mich nicht wundern, wenn Ostberlin noch orthodoxen Marxismus-Leninismus praktizieren würde, lange nachdem überall sonst die Illusionen dieser Ideologie schon auf dem von Marxisten so gern beschworenen Abfallhaufen der Geschichte zur letzten Ruhe gebettet sind. Die Deutschen sind ja auch ihrem Kaiser und dann ihrem Führer länger treu gewesen, als es gut für sie war.
Vom Checkpoint Charlie ist es, auf der Friedrichstraße nach Norden, nicht weit zum Bahnhof Friedrichstraße. Dort verkehren nebeneinander die Fernzüge zwischen Paris und Warschau und die S-Bahn-Züge zwischen West-Berlin und Ost-Berlin. Während ich die Friedrichstraße entlangging – vorbei an den geschwärzten, seit dem Krieg noch nicht restaurierten und angeblich im Besitz irgendwelcher mysteriöser Schweizer Firmen stehenden Häusern, Firmen, mit denen es sich nicht einmal die DDR verderben wollte –, fiel mir dummerweise zu spät ein, dass man selbst für diese Strecke ein Taxi nehmen sollte, wenn man es eilig hat.
An der S-Bahn-Station Friedrichstraße erwartete mich eine weitere Demonstration der weder Mühe noch Kosten scheuenden Sorgfalt, mit der der erste Arbeiter-und-BauernStaat auf deutschem Boden über seine Grenzen wachte. Bei der Ausreise wurde natürlich noch sorgfältiger kontrolliert als bei der Einreise, und es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis man mich passieren ließ.
Endlich stand ich oben auf dem windigen Bahnsteig und stieg in den klapprigen, funzelig beleuchteten Zug – vielleicht derselbe Zug, der auf dieser Strecke schon zur Olympiade des Jahres 1936 gefahren war. Ich saß allein im Abteil. Innerhalb weniger Minuten rollte der Zug über die Staatsgrenze der DDR wieder nach West-Berlin zurück. Am Alexanderufer hatte man eine eindrucksvolle Aussicht auf den »antifaschistischen Schutzwall«, hier mit spanischen Reitern und anderen Schikanen besonders eindrucksvoll ausgestattet, vielleicht zur Abschreckung.
Am Bahnhof Zoo stieg ich aus und wartete auf den Zug nach Wannsee, der am Bahnhof Grunewald hält. Mit der Bahn war ich schneller als mit dem Taxi, das um diese Zeit im dichten Verkehr auf dem Ku’damm steckenbleiben würde. Zu Franks Haus ging ich zu Fuß. Ich näherte mich dem Haus vorsichtig, wenn es auch nicht sehr wahrscheinlich war, dass man mir dort auflauerte. Normalerweise wurden zunächst die Grenzübergänge und der Flughafen besetzt. Das an einem Freitagabend und kurzfristig zu organisieren würde die Herrschaften fürs erste vollauf beschäftigen. Frank als der Chef der Berliner Außenstelle stand bereits unter dem besonderen Schutz der Berliner Polizei. Ich nahm an, dass die Verantwortlichen es nicht für nötig halten würden, zusätzlich einen Patrouillenwagen mit dreifacher Besetzung rund um die Uhr vor seine Haustür zu stellen. Ich galt wahrscheinlich als Flüchtling der Sonderkategorie drei: »möglicherweise bewaffnet, aber nicht gefährlich«.
Axel Mauser, einer meiner Berliner Schulkameraden, hat mir als erster gezeigt, wie man an Regenrinnen hochklettert. Bis ich bei ihm in die Lehre ging, hatte ich mich immer mit den Händen hochgezogen, und dementsprechend grauenhaft sahen meine Kleider anschließend aus. Axel aber sagte: »An Tauen klettert man mit den Händen hoch, an einer Regenrinne mit den Füßen.« Und er zeigte mir, wie’s die Einbrecher machen, damit die Hände sauber bleiben. Ich weiß nicht, wer ihn das gelehrt hatte, vermutlich sein Vater. Rolf Mauser arbeitete in Lisls Hotel. Er war ein skrupelloser alter Halunke. Rolf würde ich fast alles zutrauen.
Daran dachte ich, als ich zum Fenster von Franks Badezimmer neben dem Schlafzimmer an der Rückseite seines großen Hauses in Grunewald hinaufkletterte. An der Rückseite des Hauses gab es keine Alarmanlagen. Ich wusste das, weil ich bei der Installation der Alarmanlagen in Franks Haus selbst mitgeholfen hatte. Ich wusste auch, dass ich das Badezimmerfenster nur angelehnt, nicht verriegelt finden würde. Frank war ein Frischluftfanatiker. Er hatte mir oft genug gepredigt, wie ungesund es sei, die Schlafzimmerfenster zu schließen, selbst bei kaltem Wetter. Manchmal glaube ich, dass das einer der Gründe ist, weshalb seine Frau nicht mehr mit ihm zusammenlebt. Sie hatte einfach die Nase voll von der
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