Geködert
BMW hervor. Dahinter lag ein
großer Garten mit säuberlich beschnittenen und an die Wände
spalierten Obstbäumen. Der Rasen fiel mir besonders auf. In
dieser Gegend, wo die Sonne unerbittlich vom Himmel sticht,
beweist ein gepflegter Rasen die ungewöhnliche gärtnerische
Leidenschaft, die fremde Herkunft oder den Reichtum des
Besitzers.
Auf der geschützten kleinen Terrasse vor dem Haus standen
verschiedene Gartenmöbel: Liegestühle und an einem großen
Tisch mit gläserner Platte moderne, verwegen gebogene
Metallsessel. Doch obwohl die Sonne schien, war der Tag nicht
unbedingt dazu geschaffen, im Freien zu sitzen. Der Wind
wehte unablässig, und seine Stöße beugten sogar die Kronen
der Pinien an den Hängen ringsum. Gloria schlug den
Mantelkragen hoch, während wir vor der Haustür darauf
warteten, dass jemand unser Klingeln erhörte.
Die Frau, die uns öffnete, war etwa vierzig Jahre alt. Sie war
anziehend auf die einfache und ehrliche Weise, die man als
Städter auf dem Lande zu finden hofft, eine kräftige,
starkknochige Frau mit lebhaften, intelligenten Augen. Sie hielt
es offensichtlich nicht für nötig zu verbergen, dass ihr Haar
schon grau wurde. »Frau Winter?« sagte ich.
»Mein Name ist Winter«, sagte sie. »Aber ich bin Ingrid.«
Sie bat uns herein und fügte ihrer Erklärung noch hinzu: »Dass
mein Vorname mit dem gleichen Buchstaben anfängt wie der
meiner Mutter, führt gelegentlich zu Verwechslungen.«
Nachdem sie unser billiges Mietauto gemustert hatte, sah sie
Gloria neugierig an. Sicherlich versuchte sie die Natur unseres
Verhältnisses zu erraten. »Sie wollen meine Mutter sprechen.
Sie sind doch Mr. Samson?« Sie sprach ausgezeichnet
englisch, und der minimale Akzent klang eher deutsch als französisch. Sie trug ein altmodisch geschnittenes, langes Kleid mit hohem Spitzenkragen und Spitzenmanschetten, grün mit einem Jugendstil-Blumenmuster. Es war nicht leicht zu sagen, ob sie damit hoffnungslos altmodisch oder nach der neuesten
Insider-Mode gekleidet war.
»Ganz recht«, sagte ich. Ich hatte geschrieben, ich sei ein
alter Freund von Lisl, Schriftsteller, und recherchierte für ein
Buch, das von dem Berlin der Vorkriegszeit handeln sollte. Da
ich ohnedies gerade in der Gegend sei, hatte ich weiter
geschrieben, hoffte ich, einen kurzen Besuch machen zu
dürfen, um von jenen Jahren in Berlin mit ihr zu plaudern. Eine
Antwort auf meinen Brief hatte ich nicht erhalten. Sie hatten
vielleicht gehofft, ich würde nicht kommen.
»Bitte geben Sie mir Ihre Mäntel. Es ist so kalt heute.
Normalerweise kann man um diese Jahreszeit schon auf der
Terrasse essen«, sagte sie. Ihre Nägel waren kurz geschnitten
und gepflegt, aber den geröteten Händen war die Hausarbeit
anzusehen. Sie trug eine teuer aussehende Armbanduhr und
verschiedene Ringe, aber keinen Ehering.
Ich murmelte ein paar Banalitäten über die ständige
Verschlechterung des Klimas, während sie uns genauer ins
Visier nahm. Da hatte Lisl also eine Nichte. Sie sah Lisl nicht
im geringsten ähnlich, aber ich erinnerte mich an ein Foto von
Lisls Mutter in einem Kleid mit Puffärmeln, einen
wagenradgroßen Hut auf dem Kopf. Sie war eine ähnlich stark
gebaute Frau. »Wie geht es Ihrer Mutter?« fragte ich, während
Gloria vor einem Spiegel im Entree ihr Aussehen prüfte und ihr
Haar zurechtzupfte.
»Mal so, mal so, Mr. Samson. Heute hat sie einen ihrer
besseren Tage. Ich muss Sie aber bitten, nicht lange zu bleiben.
Sie ermüdet leicht.«
»Natürlich.«
Wir betraten ein großes Wohnzimmer. Mehrere Heizkörper
hielten es warm, trotz der großen Fenster, aus denen man in den Vorgarten hinaussah. Der Fußboden war mit den roten Kacheln gefliest, die man in der Gegend häufig verwendet. Wie zufällig lagen hier und da gemusterte Teppiche. Ein großes Gemälde beherrschte den Raum. Eine Schlacht, wie man sie im achtzehnten Jahrhundert malte: im Vordergrund hoch zu Roß in glänzenden Uniformen säbelschwingende Offiziere, im rauchverschleierten Hintergrund das unkenntliche Fußvolk, das sich gegenseitig niedermetzelte. Unter dem Bild standen zwei weiße Sofas und ein paar dazu passende Sessel. In einem jener hässlichen hohen Stühle, aus denen auch Leute mit steifen Gliedern noch aufstehen können, saß eine alte Frau
in einem einfachen schwarzen Kleid.
»Guten Tag, Mr. Samson«, sagte sie auf englisch, nachdem
ihre Tochter uns vorgestellt hatte, und sah sich Gloria genau
an, ehe sie ihr zunickte. Lisls Schwester hatte auf den ersten
Blick
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