Geködert
Fragen, aber sie sagte nur, was Deutsche, die das Dritte Reich in Deutschland erlebt haben, neugierigen Fremden,
zumal Ausländern, auf derartige Fragen gewöhnlich antworten. Nach einer dreiviertel Stunde merkte ich, dass sie müde
wurde. Ich machte Anstalten, mich zu verabschieden. Die alte
Frau wollte uns nicht gehen lassen, aber die Tochter stimmte
mir mit einer kaum merklichen Kopfbewegung zu und sagte:
»Sie müssen aber fort, Mama, sie haben noch verschiedenes zu
erledigen.« Auch die Tochter, schien es, wusste ihren Willen
durchzusetzen.
»Sind Sie hier auf der Durchreise?« fragte Ingrid höflich,
während sie uns unsere Mäntel reichte.
»Wir haben ein Zimmer in dem großen Hotel an der Straße
gerade vor Valbonne«, antwortete ich.
»Das soll ein sehr gutes Hotel sein«, meinte sie.
»Ich werde heute abend aufschreiben, was ich von Ihrer
Mutter erfahren habe«, sagte ich. »Wenn mir dabei noch
zusätzliche Fragen einfallen, darf ich Sie anrufen?«
»Mutter hat wenig Besuch«, sagte sie. Einladend klang das
nicht gerade.
Das Hotel war nicht das Flitterwochennest, das ich Gloria beschrieben hatte. Es stand am Ende einer von Schlaglöchern übersäten, gewundenen Straße, und hinter dem Haus lag ein verlassener Steinbruch. Die Karrenräder, die dekorativ die Einfahrt zum Parkplatz flankierten, waren nicht, wie man auf den ersten Blick vermutete, Überbleibsel der ländlichen Vergangenheit, sondern aus Kunststoff gegossen. Auf dem Hof vor dem Hotel standen einige echte alte Weinfässer, und in diesen führten ein paar Rhododendren und Kamelien tapfer den Kampf ums Dasein. Das Hotel war rosa verputzt und mit glänzenden Kunststoffschindeln gedeckt.
Am Ende des Parkplatzes stand ein Schuppen, in dem ein paar hinfällige Kraftfahrzeuge nicht mehr näher bestimmbarer Gestalt und Fabrikation ungestört vor sich hin rosteten. Wir parkten neben einem neuen Peugeot-Kombiwagen und einem Lieferwagen, der mit Reklamesprüchen für einen Metzgerladen in Valbonne beschriftet war. Ein großes Schild machte darauf aufmerksam, dass man hier auf eigene Gefahr parkte, und ein anderes wies den Weg zu einem leeren Swimmingpool, den man in einem schreienden Himmelblau zu streichen angefangen hatte.
Drinnen jedoch sah es besser aus: der Speisesaal sauber und ziemlich vornehm, die Tische mit gestärktem Leinen gedeckt, Gläser und Bestecke poliert. Und in der Bar gab es einen Kamin, in dem dicke Holzkloben brannten.
Gloria ging gleich nach oben, um zu baden und sich umzuziehen, ich aber ging in die Bar, wärmte mir die Hände an dem Feuer und versuchte den Armagnac, den der Mann hinter der Bar als besonders gut anpries. Gloria hatte für Alkohol nichts übrig. Ihr war Orangensaft lieber oder Joghurt, sogar Seven-up. Auch da machte sich der Altersunterschied zwischen uns bemerkbar, nehme ich an. Da ich mit dem Urteil des Barkeepers übereinstimmte, nahm ich einen zweiten Armagnac mit auf unser Zimmer, wo Gloria eben aus der Badewanne stieg. »Das Wasser ist heiß«, rief sie fröhlich. Splitternackt durchquerte sie das Zimmer und sagte: »Nimm eine Dusche, Liebling. Du wirst sehen, wie das deine Lebensgeister weckt.«
»Meine Lebensgeister sind schon geweckt«, sagte ich und folgte ihr mit den Blicken.
Während der Fahrt von Le Mas des Vignes Blanches zum Hotel hatte sie kein Wort gesagt und mich meinen Gedanken überlassen. Als ich nun aber fragte: »Also, was hältst du von ihr?«, sagte Gloria wie aus der Pistole geschossen: »Das alte Aas.«
»Wenn man schon in der ersten Runde k. o. geschlagen werden muss, ist es wenigstens tröstlich zu wissen, dass ein Weltmeister einen aufs Kreuz gelegt hat«, sagte ich.
»Sie hat dich in die Falle gelockt.«
»Und mit bewundernswerter Geschicklichkeit«, sagte ich. »Sie ahnte schon, weshalb wir da waren, ehe ich noch den Mund aufmachte. Schnell und gewieft. Das musst du zugeben.«
»Ein schlaues altes Aas«, sagte Gloria.
»Willst du dir nicht was anziehen?«
»Wieso?«
»Du lenkst mich ab.«
Sie küsste mich. »Du riechst nach Alkohol«, sagte sie. Ich nahm sie in die Arme. »Es tut gut, das zu hören, Liebling. Ich dachte schon, ich beherrsche die Kunst der Ablenkung nicht mehr.« Ich streichelte sie. »Nein, nicht doch. Es gibt doch gleich Essen. Laß das, die Zeit reicht nicht, wir müssen gleich runter zum Essen.«
»Jetzt ist es schon zu spät«, sagte ich. Und so war es auch.
Nachher, als wir still nebeneinander saßen, sagte sie: »Was bist du, Bernard?«
»Wie meinst du
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