Geködert
deutsch sprechen zu hören, denn Frau Winters Englisch war nicht viel besser als mein Französisch.
Sie sah mich an. Offenbar erwartete sie eine Antwort auf das Angebot ihrer Tochter. »Das ist aber sehr großzügig«, sagte ich.
»Mir kann es egal sein. Wenn ich sterbe, gehört sowieso alles Ingrid. Sie kann ebensogut jetzt schon entscheiden.«
»Lisl hat Geld auf das Haus aufgenommen, glaube ich.« Sie ging darauf nicht ein.
»Ingrid sagt, die Erbschaft würde mehr Ärger machen, als sie wert ist. Vielleicht hat sie recht. Sie kennt sich in diesen Sachen besser aus als ich …«
»Es werden natürlich Steuern zu bezahlen sein …«
»Und Ingrid sagt, wir fahren besser, wenn wir uns die Mühe mit den Formularen und Steuererklärungen sparen. Wo soll ich auch hier jemanden auftreiben, der sich mit der deutschen Steuer auskennt?«
Ich antwortete nicht. Wenn man in Betracht zog, wie viele reiche Deutsche eine Villa an der Côte d’Azur hatten, dazu die Flotten deutscher Yachten, die in den französischen Häfen lagen, dann war das meines Erachtens kein unüberwindliches Problem.
»Aber ich habe noch Sachen in dem Haus«, sagte sie, »persönliches Eigentum.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es deswegen irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte«, sagte ich.
»Die Ormoulu-Uhr. Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich die kriege. Erinnern Sie sich, die noch gesehen zu haben?«
»Ja«, sagte ich. Das Ding war unvergeßlich: absolut scheußlich und über und über besetzt mit Engeln, Drachen, Pferden und weiß der Himmel was noch allem. Und selbst wenn man sie wirklich übersehen sollte, ihre hallenden Schläge konnten einen die ganze Nacht wach halten. Aber trotzdem sah ich da eine Schwierigkeit: Lisl hatte oft und oft beteuert, wie sehr sie an diesem scheußlichen Gegenstand hing.
»Außerdem noch ein paar Kleinigkeiten. Fotos meiner Eltern, ein kleines Kissen, das ich bestickt habe, als ich noch klein war, und ein paar Andenken, Briefe und andere Papiere, die meinem verstorbenen Mann gehörten. Ich werde Ingrid nach Berlin schicken, sie soll diese Sachen holen. Es wäre tragisch, wenn sie weggeworfen würden.«
»Es wird ja nichts über den Zaun gebrochen«, sagte ich. Ich hatte Angst, sie könnte Lisl anrufen, ehe Werner mit ihr geredet hatte. In dem Fall war mit einem furchtbaren Krach zu rechnen.
»Es handelt sich um persönliche Papiere«, sagte sie. »Sachen, die für niemanden außer mir von Interesse sind.« Sie nickte. »Ingrid wird sie mir holen. Dann kann Lisl das Haus haben.« Sie blickte auf ihre Hände hinab und merkte, dass sie das Foto in der Hand hielt. Sie reichte es mir. »Meine Hochzeit«, verkündete sie.
Ich betrachtete das Bild. Die Winters hatten in großem Stil geheiratet. Sie stand auf den Stufen eines imposanten Gebäudes in einem prächtigen Brautkleid mit langer Schleppe, die von Knaben in weißen Anzügen gehalten wurde. Der Bräutigam an ihrer Seite trug die Ausgehuniform irgendeines deutschen Regiments, Kameraden rechts und links kreuzten die Klingen über dem Brautpaar. Weiter außen, die Stufen hinan, waren die Gäste aufgebaut: ein gutaussehender Marineoffizier, diverse hochrangige Braunhemden und SS-Offiziere, reich dekorierte Parteifunktionäre und andere Uniformträger obskurer Nazi-Organisationen.
»Sehen Sie Lisl dort?« fragte sie mit schelmischem Lächeln.
»Nein.«
»Sie steht bei dem Zivilisten.« Jetzt sah ich die beiden ohne Mühe. Wirklich war Lisls Begleiter der einzige Mann, der keine Uniform trug. »Armer Erich«, sagte sie und lachte spöttisch. Dieser seltsame Scherz über Lisls klavierspielenden Ehemann mochte damals durchaus seine Wirkung getan haben. Aber der alten Frau schien nicht bewusst zu sein, dass die Geschichte Erich Hennig recht gegeben hatte. Ich schob das Foto zurück in die enge Lücke, die ihm zustand.
»Nur private Papiere«, wiederholte sie. »Sachen, die für niemanden außer mir von Interesse sind.«
Pünktlich um ein Uhr rief uns die Tochter zum Essen, das in einem kleinen Eßzimmer mit Blick auf den Hof serviert wurde. Die alte Frau ging zu Fuß, ohne Hilfe, und redete während der Mahlzeit weiter angeregt über Berlin.
»Ich kenne Berlin überhaupt nicht«, sagte Ingrid, »aber für meine Mutter ist es die Stadt schlechthin.«
Das genügte schon, um die nächste Geschichte über die glücklichen Vorkriegsjahre in der Hauptstadt auszulösen. Die alte Frau erzählte mit solcher Begeisterung, dass sie gar nicht zu merken schien, dass ihre
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