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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Inge Winters Alter wollten Treppen steigen, bevor sie ins Bett gingen.
    Sie lag nicht im Bett. Sie trug eine Art graues Wollkleid, das den Kitteln ähnlich sah, in die arme Patienten staatlicher Krankenhäuser gekleidet werden, und saß, einen schweren Kaschmirschal um die Schultern gelegt, in einem großen eckigen Sessel. »Nehmen Sie Platz«, sagte sie. »Möchten Sie irgend etwas trinken?«
    »Nein, danke«, sagte ich. Jetzt verstand ich Ingrids Ängste. Das hier war kein Schlafzimmer, es war ein Reliquienschrein. Das Verblüffende waren jedoch nicht so sehr die vielen Andenken und Erinnerungsbilder, mit denen sich Inge Winter umgeben hatte – das findet man bei vielen alten Leuten –, sondern die Auswahl. Ein großer Tisch an der Wand war vollgestellt mit gerahmten Fotos, wie bei alternden Schauspielern, die sich auf diese Weise der immerwährenden Zuneigung ihrer Kollegen versichern wollen. Nur waren das hier keine Filmstars.
    Eine beherrschende Stellung nahm in seinem silbernen Rahmen ein großes Porträt Adolf Hitlers ein. Ich hatte solche Fotos schon anderswo gesehen. Es war eins der von Hoffmann aufgenommenen offiziellen Führerbilder, mit denen Hitler alte Kämpfer und neue Freunde bedachte. Dieses Exemplar war aber nicht nur wie andere dieser Art mit dem hastig abgekürzten Namenszug autorisiert. Es war ausdrücklich und eigenhändig Herrn und Frau Winter gewidmet. Übrigens war es nicht das einzige Bild Hitlers in der Versammlung. Ein glänzendes Pressefoto zeigte ein gutaussehendes Paar in mittleren Jahren mit Hitler und einem großen Hund auf einer Terrasse, schneebedeckte Berggipfel im Hintergrund. Wahrscheinlich Berchtesgaden, der Berghof. Vorkriegszeit, Hitler war noch in Zivil. Er trug einen hellen Anzug und machte, mit ausgestreckter Hand, Miene, den Hund zu streicheln. In der Frau, die wirklich eine Schönheit war, mit langem, glänzendem Haar und in einem damals topmodischen Kleid, erkannte ich jetzt Inge Winter. Der Mann – vermutlich Herr Winter –, dem der dunkle Nadelstreifenanzug etwas zu eng war, war mit halb geöffnetem Mund erwischt worden und sah dementsprechend verdutzt und leicht lächerlich aus. Aber das war vielleicht kein zu hoher Preis für die Ehre, in vertrautem Gespräch mit dem Führer verewigt zu werden. Ich konnte mich nicht losreißen von diesen Erinnerungsfotos. Da waren gewidmete Bilder, die Joseph Goebbels mit Frau und allen ihren Kindern zeigten. In schwarzer Uniform und mit ausdruckslosem Gesicht grüßte Heinrich Himmler. Sorgfältig retuschiert lächelte Hermann Göring. Fritz Esser – der später mit Göring in Nürnberg vor Gericht stehen sollte – empfahl sich mit zackigem Namenszug. Die Winters hatten also mit den Spitzen der nationalsozialistischen Bewegung verkehrt. Und Lisl, Frau Winters Schwester?
    »Die meisten Leute heutzutage trinken«, sagte die alte Frau. »Es nimmt viel zu sehr Überhand.« Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm sie eins der Bilder vom Tisch und wandte sich, das Foto in der Hand, an ihre Tochter und sagte: »Laß uns allein, Ingrid. Ruf uns, wenn das Essen fertig ist.«
»Ja, Mama.«
    Da Frau Winter ihrer Tochter diese Anweisung in deutscher Sprache gegeben hatte, fuhr ich automatisch in der gleichen Sprache fort, als ich nun sagte, wie sehr ich es zu schätzen wüßte, dass sie mich noch einmal habe empfangen wollen.
    Das Gesicht der alten Frau hellte sich auf in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte. »Aber Sie sprechen ja perfekt deutsch … sind Sie etwa Deutscher?«
    »Ich halte mich schon dafür. Aber meine deutschen Freunde scheinen ihre Zweifel zu haben.«
»Sie müssen Berliner sein.« Sie hielt noch immer das Foto in der Hand, schien es aber vergessen zu haben.
»Ich bin in Berlin aufgewachsen.«
»Wenn ich Sie reden höre, ist es, als würde ich Champagner trinken. Wenn sich meine Tochter nur nicht diesen schrecklichen bayerischen Dialekt angewöhnt hätte! Warum haben Sie gestern nicht deutsch geredet? Jedenfalls freue ich mich, dass meine Tochter mich gedrängt hat, Sie noch mal einzuladen.«
»Ihre Tochter hat Sie gedrängt?«
»Sie findet, ich hätte in der Sache mit dem Haus entgegenkommender sein sollen, nicht so preußisch«, sagte sie grinsend. »Sie findet, ich sollte Lisl erlauben, es diesem Juden zu vermachen, wenn es das ist, was sie will. Die arme Lisl war immer der Einfaltspinsel in der Familie. Deshalb hat sie ja auch diesen Klavierspieler geheiratet.« Es war eine Erleichterung, sie

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