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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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natürlich«, sagte ich.
»Sie ist natürlich im Laufe der Jahre dicker geworden«, sagte Frank, der wahrscheinlich sein phänomenales Gedächtnis gelobt hören wollte. Er hängte den festgerollten Regenschirm bei der Krücke an der Schreibtischkante auf und konsultierte seine goldene Taschenuhr, wie um sich zu vergewissern, dass es schon Zeit zum Mittagessen sei. »Schieb den Kram mal beiseite, Bernard. Ich spendiere dir ein Guinness und ’ne Fleischpastete.« Die Vorstellung, dass Engländer sich kein besseres Mittagessen vorstellen können, als es in den Pubs zu haben ist, wird von den im Ausland lebenden Engländern gehegt und gepflegt, und so lächelte ich. Frank sah sehr geschniegelt aus. Er hatte eine Unterredung mit dem Deputy hinter sich, und dass er aus höheren Sphären in mein bescheidenes Büro trat, wurde noch betont durch seinen dreiteiligen grauen Kammgarnanzug, die goldene Uhrkette, das breitgestreifte Hemd aus der Jermyn Street und die EtonKrawatte; an Krawatten in den Farben seiner Schule schien er einen unerschöpflichen Vorrat zu besitzen. Meine Krawatte war einfarbig und aus Polyester, meine Uhr japanisch und aus Plastik. Ich war erschöpft, und Dickys Stimme dröhnte mir noch im Ohr. Ich hatte gerade dem Diktiergerät gelauscht und versucht, ein paar Notizen aus dem weitschweifigen Geschwafel herauszufiltern, das mir Dicky hinterlassen hatte mit der Bitte, »noch ein bisschen dran zu feilen«. Das konnte lange dauern. Dicky hatte kein Talent, seine Argumente in einen überzeugenden Zusammenhang zu bringen, und wo seine Darstellung ausnahmsweise mal logisch aufgebaut war, stimmten gewöhnlich die Fakten nicht. Ich schob also die Arbeit beiseite und sagte: »Wie wär’s mit nächster Woche, Frank? Am Mittwoch bin ich in Berlin.«
Aber Frank ließ sich nicht abwimmeln. »Nur ein ganz schneller Lunch, Bernard.«
Ich blickte auf und sah ihn wartend in der Tür stehen, mit einem sehr gezwungenen Lächeln im Gesicht. Erst in diesem Augenblick begriff ich, wieviel solche Kleinigkeiten ihm bedeuteten. Ich wusste natürlich, dass Frank in mir immer den Sohnersatz gesehen hatte. Das hatten mir auch schon andere zu verstehen gegeben, gewöhnlich zu Zeiten, da ich Frank das Leben schwer machte. Frank selbst hatte sogar verschiedene Anspielungen auf eine nicht näher bestimmte Verantwortung gemacht, die er meinem Vater schuldig sei. Aber Frank nahm das zu ernst. Mehr als einmal hatte er, nur um mir aus der Patsche zu helfen, seine Karriere riskiert, und so fühlte ich mich ihm auf eine – um die Wahrheit zu sagen – ziemlich ungemütliche Weise verpflichtet. Die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen sind ja selten frei von Spannungen, und meiner Rolle entsprechend hatte ich wesentlich mehr von ihm genommen als ihm gegeben, und ich gebe zu, ich hasste es, irgend jemandem verpflichtet zu sein, selbst wenn es Frank war.
»Du hast recht, Frank. Zum Teufel damit!« Ich zog die Kassette aus dem Gerät und verschloss sie in meiner Schreibtischschublade. Vielleicht hätte ich sie lieber an den KGB schicken sollen, um die Desorientierung des Gegners voranzutreiben. Frank half mir in den Mantel.
Während seiner Besuche in London hatte Frank immer einen Wagen mit Chauffeur. Dies war eines der kleinen Privilegien, die die Stelle in Berlin mit sich brachte. Wir suchten ein »kleines Weinlokal in der City« auf; da der Vorschlag von Frank Harrington kam, lag es natürlich nicht in der City, sondern südlich der Themse in jenem borough (oder »Bezirk«) von London, der rätselhafterweise nur einfach The Borough genannt wird. In einer Nebenstraße der Old Kent Road zwischen heruntergekommenen viktorianischen Häusern fanden wir das Lokal durch eine jener kleinen polierten Messingtafeln ausgeschildert, mit denen Rechtsanwälte und Zahnärzte auf ihre Geschäftsräume hinweisen. Ein langer, unterirdischer Korridor führte in einen düsteren Keller, der sich niedrig über dicken Pfeilern wölbte. Das Mauerwerk war flaschengrün gestrichen. Auf kleinen Schiefertafeln waren mit Kreide Namen und Jahrgänge der vornehmen Tropfen angeschrieben, die offen ausgeschenkt wurden. Eine lange Theke stand an der einen Wand des größten der »Räume« des Lokals, ringsum beleuchteten Punktstrahler kleine Tische, an denen schrille Geschäftsleute ihren kostbaren alten Rotwein oder Portwein tranken, teure Kleinigkeiten aus der kalten Küche knabberten und versuchten, auszusehen wie Tycoons, die sich gerade vor aufdringlichen

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