Geködert
Ich brauche nicht noch mehr davon.«
»Bin ich dir auch ein Rätsel, mein armer Liebling?« Dabei langte sie über den Tisch und streichelte meine Hand.
»Du ganz besonders«, sagte ich.
»Glaubst du, dass mir Alfonso eine Tüte gibt, so dass ich den Rest der Leber mitnehmen kann für Muffin?« sagte sie und fuhr fort, ohne eine Antwort auf ihre Frage abzuwarten. »Deine Freundin Cindy wird so leicht nicht aufgeben.«
»Sie hat mehr freie Zeit als ich, und sie liebt das Engagement für eine gute Sache. Cindy hat sich schon immer gern für irgendwas engagiert: Tierschutz, weibliche Priester, Dieselabgase verursachen das Waldsterben. Cindy braucht das.«
»Ich finde sie nicht ganz normal«, sagte Gloria in jenem flachen, wie beiläufigen Tonfall, der andeutete, dass es ihr vollkommen egal war. Sie hatte abgeschaltet. Gloria konnte das. Ich hätte viel dafür gegeben, diesen Trick zu beherrschen. Plötzlich hob sie den Arm und rief: »Kann ich bitte Kaffee haben, Alfonso?«
»Zweimal, bitte«, rief ich hinterher, aber er ließ sich nicht anmerken, dass er mich gehört hatte.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Ich hatte vergessen, dass du’s nicht gerne hast, wenn ich in deiner Gesellschaft selbst bestelle.«
»Willst du wirklich diese Leber in dein Taschentuch wickeln?«
»Muffin liebt Leber.« Sie verstaute das Päckchen gerade in ihrer Handtasche, als der Kaffee gebracht wurde. »Ich sollte keinen Kaffee trinken«, sagte ich. »Ich muss unbedingt bald ins Bett.«
»Die Kinder kommen erst zum Abendbrot nach Hause. Vielleicht lege ich mich auch ein bisschen hin«, sagte sie arglos.
»Also, was hält uns dann noch hier?«
17
Im Büro erwartete mich viel Arbeit. Ganz oben auf dem Stapel lag eine dringliche Anfrage des Verteidigungsministeriums, in der Informationen über Semtex erbeten wurden, einen in der Tschechoslowakei hergestellten Sprengstoff, der über die DDR exportiert und neuerdings mit schönem Erfolg von Bombenbastlern in Nordirland verwendet wurde. Weiter unten vertrauliche Anfragen über die Leipziger Messe und – mit höchster Dringlichkeitsstufe – einige zusätzliche Fragen des Ministers, die rechtzeitig zur nächsten Fragestunde des Parlaments zu beantworten waren.
Es war eines der Naturgesetze, unter denen das Leben im Department seinen Lauf nahm, dass die Akten, die Dicky unbearbeitet auf seinem Schreibtisch liegen ließ, während er sich Sorgen um seine Karriere machte und sich so lange wie möglich um erforderliche Entscheidungen herumdrückte, stets irgendwann von der langen Bank mit Schwung mir zugeschoben wurden. Die Aufgabe, alles Liegengebliebene umgehend zu erledigen, wurde mir nicht gerade erleichtert durch die kryptischen Bemerkungen und Anweisungen für mich, die Dicky den Akten mit auf den Weg gab.
»Warmhalten, bis wir wissen, wer in den Ausschuss kommt«, riet Dicky da etwa. Oder: »Sag dem alten Ekel, er soll sich sauerkochen lassen, aber halte ihn bei Laune.« Oder: »So könnte das gehen, wenn sie die richtigen Leute einsetzen, aber pass auf, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht.« Oder sein Standardsatz: »Versuche rauszukriegen, was sie wirklich wollen, vielleicht können wir ihnen auf halbem Wege entgegenkommen.«
Solchen geheimnisvollen Anweisungen also suchte ich zu folgen an jenem Dienstag, während Dicky sich irgendwohin verzogen hatte, was er immer tat, wenn Arbeit drohte. Und Dicky wollte wie gewöhnlich alles im Laufe eines Tages erledigt wissen.
Ich begegnete deshalb Frank Harringtons munterer Einladung zu einem schnellen Lunch mit stierem Blick. »Du machst dich nur kaputt, wenn du versuchst, diesen Haufen noch bis Dienstschluss durchzuackern«, sagte Frank und strich mit der Spitze des Zeigefingers über den Deckel einer dicken Akte, in der man die verschiedenen Typen osteuropäischer Einzelhandelsgeschäfte, die Zahlungen nur in westlichen Währungen annehmen, umfassend und erschöpfend dargestellt und analysiert fand. Die arme Seele, der diese Aufgabe zugefallen war, hatte Tabellen, Bilanzen, Prognosen et cetera von Rewex in Polen, Tuwex in der CSSR, Korekom in Bulgarien auf das sorgfältigste Punkt für Punkt mit den entsprechenden Daten für die Intershops in der DDR verglichen.
Ohne die Akte vom Tisch zu nehmen, schlug Frank sie mit spitzen Fingern auf, bemüht, sich nicht schmutzig zu machen. »Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich diese Akte auf dem Schreibtisch des Alten sah an dem Tag, als ich die Stelle in Berlin bekam?«
»Aber
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