Geködert
Ich rede nicht vom Erziehungsministerium, auch nicht vom Gesundheitsamt oder Sozialamt, Cindy. Ich rede von der Stelle, wo die gröberen Sachen laufen.«
»Wenn du meinen Rat willst …« Sie glitt vom Bett und stand auf. Da sie halb aus den Schuhen geschlüpft war, trat sie erst mit dem einen, dann mit dem anderen Fuß voll auf, um sich wieder hineinzuquetschen. »Du solltest aufhören, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.«
»Wenn man dich reden hört, glaubt man, es macht mir Spaß, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.«
Sie strich die Aufschläge ihrer Jacke glatt und langte nach ihrem Mantel. »Ich glaube, du willst dich selbst zugrunde richten. Das muss irgendwas damit zu tun haben, dass Fiona dich verlassen hat. Vielleicht fühlst du dich irgendwie schuldig.
Aber all diese Theorien, die du ausbrütest … Ich meine, sie führen doch zu nichts, oder? Siehst du denn nicht, dass irgendwo in dir ein Wurm drin ist, der dich auffrisst? Ich nehme an, du willst dir unbedingt weismachen, dass die ganze Welt unrecht hat und nur Bernard Samson im Recht ist.« Das Schloss ihrer Handtasche schnappte zu. »Vergiss diesen ganzen Scheiß, Bernard. Das Leben ist zu kurz, alle krummen Sachen in der Welt gradezubiegen. Ich habe lange gebraucht, das zu lernen, aber von jetzt an werde ich mein eigenes Leben führen und nicht mehr daran denken, die Welt zu ändern.«
»Eine Kleinigkeit könntest du immerhin noch für mich tun, ehe du nach Straßburg gehst.«
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»Nicht ehe ich nach Straßburg gehe, und nachher auch nicht. Ich will überhaupt nichts davon wissen, verstehst du, Bernard?«
Ich sah sie an, und sie starrte zurück. Sie war nicht feindselig, nicht einmal trotzig. Sie war einfach eine Frau, die sich entschieden hatte. Und ihre Entscheidung war unabänderlich. »Also gut, Cindy. Amüsier dich schön in Straßburg.«
Sie lächelte, durch den freundlichen Ton sichtlich erleichtert. »Mit Gottes Hilfe finde ich vielleicht einen appetitlichen jungen Franzosen, den ich heiraten kann.« Sie zog den Vorhang beiseite, um zu sehen, ob es draußen regnete.
Es regnete. Sie knöpfte ihren Mantel zu. »Möchtest du vielleicht den Mercedes kaufen, Bernard? Dunkelgrün, 380 SE.
Nur zwei Jahre alt. Macht fünfundzwanzig Meilen pro Gallone.«
»Kann ich mir nicht leisten, Cindy.«
»Fünfundzwanzig auf der Autobahn. Im Stadtverkehr nur ungefähr zwanzig.« An der Tür blieb sie stehen. Ich dachte einen Augenblick lang, sie wollte mir ihre Hilfe doch noch anbieten, aber sie sagte nur: »Das Steuer ist auf der falschen Seite für den Rechtsverkehr, ich kann mir dort steuerfrei einen neuen Wagen anschaffen und muss deshalb den Mercedes verkaufen.«
Schweigend gingen wir die Treppe hinab. Als wir das hell erleuchtete Foyer erreichten, blieb sie stehen und wühlte in ihrer Handtasche nach einer Regenhaube aus weißem Kunststoff, die sie aufsetzte. Wir waren allein, der Empfang war nicht besetzt. Cindy ging zu dem Spiegel an der Wand und prüfte den Sitz ihrer Regenhaube.
»Alles andere nehme ich mit«, sagte sie, während sie sich im Spiegel betrachtete, »Möbel, Fernseher und Video, Hi-Fi und so fort. Diese Sachen sind sehr teuer in Frankreich.«
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»Dein Fernseher wird dir in Frankreich nichts nützen«, sagte ich. »Sie haben dort ein anderes System.«
Sie sah mich nicht an. Sie drehte sich um, stieß die Tür auf und ging in die Nacht hinaus, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
Die schwere Tür klappte hinter ihr zu. Sie dachte wohl, ich versuchte sie zu ärgern.
Zu meinem Wagen hatte ich es ziemlich weit. Die Straße war laut und voll von verschiedensten Fahrzeugen und Leuten.
Junge Paare, Skinheads, Punks, Freaks, Prostituierte aller Geschlechter, Polizisten und Diebe. Das Neonlicht bleichte selbst grell bemalte Gesichter. Mein Wagen stand noch unzerlegt an der Stelle, wo ich ihn abgestellt hatte. Kaum war ich aus der Lücke gefahren, war schon ein anderer Wagen drin.
Der Regen wurde heftiger. Mein alter Volvo stotterte und verschluckte sich. Vielleicht gab’s in Schweden keinen Regen.
Während der Heimfahrt dachte ich nur an Cindys Mercedes.
Britisches Rennstreckengrün. Gewachst und poliert, so dass sogar Mr. Gaskell begeistert war. Dazu ein V-8-Motor. Ich fragte mich, was sie wohl dafür wollte.
Als ich in der Balaklava Road ankam, war im Untergeschoss alles dunkel. Die Kinder lagen schon in ihren Betten, und das Mädchen saß in ihrem Zimmer vor einem Fernsehquiz. Gloria war nicht da. Ich hatte
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