Gekroent
ihm zu reden, mit diesem weisen, älteren Mann, der die Geister in den Steinen hörte. Er war wie der Vater, den sie nie gekannt hatte.
„Ich weiß, dass ich genauso aussehe wie sie“, flüsterte Morrigan. „Ja, das stimmt. Wisst Ihr, wie das geschehen konnte?“
Morrigan schüttelte den Kopf und antwortete wahrheitsgetreu: „Ich weiß nicht, wie irgendwas hiervon wirklich passiert.“ Sie zögerte. „Kegan hat mir erzählt, dass Sie Rhiannon und ihrer Familie sehr nahestehen.“
„Ja, das stimmt.“
„Bin ich ihr sehr ähnlich?“, fragte sie zitternd.
Kai zögerte einen Moment mit seiner Antwort. „Ihr seht aus, wie Myrna ausgesehen hätte, wenn sie von der Göttin berührt worden wäre.“
Morrigan fand seltsame Befriedigung in Kais Worten. Myrna hatte ausgesehen wie sie, war am gleichen Tag geboren worden und sie hatte sogar die Mutter gehabt, von der sie gedacht hatte, es wäre ihre, aber Myrna hatte nicht ihre Macht besessen.
Und es ist deine Macht, die dich so einzigartig macht.
Die Worte in ihrem Kopf waren seltsam leise, aber trotzdem schafften sie es, einen Hauch des Zorns zu entfachen, der seit dem morgendlichen Ritual noch in ihr brodelte.
„Myrna hatte überhaupt keine göttlichen Kräfte?“
„Keine, von denen ich wüsste.“
Morrigan wollte schon einen schnippischen Kommentar abgeben, dass das für ihre Mutter, Misses Auserwählte von Epona, sichereine herbe Enttäuschung gewesen sein musste, aber die Traurigkeit in Kais Blick ließ sie ihre Worte ändern. Und so fragte sie nur: „Sie haben sie geliebt?“
Kai sah sie überrascht an. „Myrna?“
„Ja, natürlich Myrna.“
„Ich habe zugesehen, wie sie von einem entzückenden Kind zu einer intelligenten Frau herangewachsen ist, die sich gut genug kannte, um sich für den Mann, den sie erwählt hatte, starkzumachen, obwohl ihre Mutter, die mächtigste Person in Partholon, genau das Gegenteil für sie erwählt hätte. Ich habe sie respektiert und gemocht, und ja, ich habe sie geliebt. So wie ein Vater seine Lieblingstochter liebt.“
„Macht meine Ähnlichkeit mit ihr es Ihnen schwer, sich in meiner Nähe aufzuhalten?“
„Ja, das tut sie, aber“, beeilte er sich, sie zu beschwichtigen, „das bedeutet nicht, dass ich Euch nicht besser kennenlernen möchte.“
„Wegen meiner Ähnlichkeit mit Myrna.“
„Nein, wegen Eurer Unterschiede.“
Morrigan sah ihn fragend an. „Wirklich?“
„Wirklich.“ Kai zeigte auf einen Brocken butterfarbenen Marmor, der nicht weit von ihnen entfernt auf dem Boden lag. „Lasst uns doch zum Beispiel mal sehen, ob Ihr die Stimmen im Marmor genauso gut hören könnt wie die Geister der heiligen Kristalle.“
„Okay.“ Morrigan ging zu dem Stein hinüber. Es war ein grober rechteckiger Brocken, der ihr ungefähr bis zur Brust reichte. Wenn sie und Kai die Arme ausstreckten, würden sie ihn gerade so eben umfassen können. „Und jetzt?“, fragte sie.
„Es ist wie mit allen Geistern. Einfach den Stein berühren und fragen.“
Morrigan wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab und legte sie an die glatte Oberfläche des Steins. Mir geschlossenen Augen konzentrierte sie sich darauf, dem Marmor ihre Gedanken zu schicken. „Hallo?“, fragte sie zögernd. „Seid ihr da?“
Sie meinte, eine leichte Bewegung unter ihren Händen zu spüren, dann wurde es warm, als hielte sie die Hände vor ein Lagerfeuer. Bilder von Flammen tauchten vor ihren Augen auf und ließen Morrigan erschreckt einatmen. Sie sah cremefarbene Gebäude mit wunderschönen Kuppeln. Überall waren unglaublich attraktive Frauen.
Sie erledigten verschiedene Aufgaben; hörten bei einer Vorlesung zu, nahmen Malunterricht, studierten eine riesige, dunkle Landkarte, die mit brillant funkelnden Kristallen besetzt war, von denen Morrigan annahm, dass es sich um Sterne und Sternbilder handelte. Schlussendlich wurde die Bildfolge langsamer und konzentrierte sich auf eine ganz besonders entzückende Szenerie. Sie sah einen Garten, der mit Rosen in mehr Schattierungen von weiß und gelb bepflanzt war, als sie sich jemals hätte vorstellen können. Dann verließ die Hitze mit einem leichten Ziehen ihre Hände, und die Bilder versanken in der Dunkelheit vor ihren geschlossenen Lidern.
Sie öffnete die Augen und sah, dass Kai sie beobachtete.
„Hat der Marmor zu Euch gesprochen?“
Morrigan strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und bemerkte überrascht, dass ihre Hand zitterte. „Er hat nicht wirklich gesprochen,
Weitere Kostenlose Bücher