Gekroent
schien.
„Es ist der feinste Marmor von ganz Partholon. Und das hier“, er tätschelte den Stein sanft, „ist das Stück, aus dem Kegan das Monument für Myrna erschaffen wird.“
Morrigan betrachtete den großen Felsklotz. „Woher wissen Sie, dass das genau das richtige Stück ist?“
„Die Frage beantworte ich am besten mit einer Gegenfrage. Wie habt Ihr den Weg in diese Kammer gefunden?“
„Die Kristalle haben mich hierhergeführt. Oben im Usgaran habe ich sie gebeten, mich ein wenig herumzuführen, und so bin ich hier gelandet.“
Kai lächelte. „Und das ist auch meine Antwort auf Eure Frage.“
„Soll das heißen, der Marmor hat Sie geleitet?“
„Ja. Der Marmor spricht zu mir, wie die Geister in den Kristallen zu Euch sprechen. Der Unterschied ist nur, dass ich kein Licht im Marmor erwecke, sondern weiß, was sich in ihm verbirgt – Formen, die ihm innewohnen, oder Pflichten, die er zu erfüllen wünscht.“
„Echt? Erzählen Sie mir mehr darüber.“ Fasziniert umrundete Morrigan den hohen Stein und betrachtete ihn genau.
Kai blieb sitzen und streichelte Brina, während er erklärte: „Ihr wisst bereits, dass Kristalle beseelt sind, so wie alles auf dieser Erde. Die Erde ist lebendig. Und alles hat einen Zweck. Der Geist einer Sache kennt seinen Zweck bereits.“ Er machte eine abstrakte Handbewegung. „Anders als die Menschen, die oft suchend durchs Leben treiben, aber nie lange genug innehalten, um in sich hineinzuhören und ihren Zweck zu ergründen.“
Morrigan dachte an die Mehrheit ihrer Freunde in Oklahoma und fand, dass durchs Leben treiben genau der passende Ausdruck war, um zu beschreiben, wie sie ihre Tage verbrachten. „Also verraten die Steine Ihnen ihren Zweck.“
„Ja.“
„Können Sie die Geister aller Steine hören?“
„Ich kann mich mit allen Steinen verbinden, aber die Geister im
Marmor sind am klarsten. Wie ist es bei Euch? Hört Ihr auch andere Geister, oder sprechen nur die heiligen Kristalle zu Euch?“
Morrigan war einmal um den Stein herumgegangen und stand nun wieder vor Kai. „Ich weiß nicht. Bis jetzt habe ich darüber nie wirklich nachgedacht.“ Sie lächelte verlegen. „Die Stimmen der Kristalle sind so laut, dass ich gar nicht weiß, ob ich durch sie hindurch noch etwas anderes hören würde.“
In seinem Lächeln lag Verständnis. „Die Geister der Dinge, die sich nicht von alleine bewegen, wie Steine und Bäume und die Erde selbst, können oft erstaunlich überschwänglich sein.“
„Ja, das kann man wohl sagen. Sie waren bisher so überschwänglich, dass ich nicht einmal versucht habe, andere Geister zu hören.“
„Ich denke, Sie sollten es tun.“ Er kratzte Brina ein letztes Mal hinter dem Ohr und stand dann auf. „Die einzigen heiligen Kristalle in diesem Raum sind die in der Nähe des Eingangs, also sollten sie nicht in der Lage sein, die Stimme des Marmors zu übertönen.“
„Oh. Gut. Ja, ich denke, ich könnte es mal versuchen.“ Morrigan hob eine Hand und wollte sie auf den Stein des Steinmeisters legen, aber Kai blockierte ihr schnell den Weg.
„Nicht diesen hier.“
„Wieso nicht?“ Morrigan war eher neugierig als verärgert.
„Die Geister in diesem Stein trauern. Sie wissen, dass es ihr Schicksal ist, zu einem Ebenbild der verlorenen Tochter von Eponas Geliebter zu werden.“
„Also sind sie traurig, weil sie Myrnas Grab werden?“
„Nein, ganz und gar nicht. Der Marmor ist erfreut über sein Schicksal. Sobald er zum Ebenbild von Myrna gehauen wurde, wird er alle trösten, die zu ihrem Denkmal kommen. Die Geister betrauern den Schmerz von Lady Rhiannon. Sie ist nicht nur die Auserwählte von Epona. Die Herrin ist unter dem Erdzeichen geboren, das bedeutet, dass sie eine starke Verbindung zur Erde, zu Bäumenund zu den Steinen hat. Bis zu einem gewissen Grad fühlt jeder in Partholon ihren Schmerz. Vor allem aber die Steine, die erschaffen wurden, um das Ebenbild ihrer Tochter zu werden.“
Morrigans Mund war mit einem Mal trocken. „Ist Rhiannons Geburtstag der dreißigste April?“
Kai schien ihre Frage nicht zu überraschen. „Ja.“
„An dem Tag bin ich auch geboren.“
„Es war auch der Tag, an dem Myrna das Licht der Welt erblickte“, sagte Kai und fügte dann mit mitfühlender Stimme hinzu: „Das wisst Ihr, oder?“
Morrigan konnte sich seinem Blick nicht entziehen. Seine Augen waren von einem dunklen Braun, und Intelligenz und Verständnis spiegelte sich in ihnen. Es war so leicht, mit
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