Gekroent
sie machen, und sie hasste es, ihnen Schmerzen zu bereiten. Sie liebten sie, das wusste sie. Ihre Zweifel galten nicht ihren Großeltern. Die harten Worte ihnen gegenüber taten ihr bereits leid. Sie war nicht böse auf sie gewesen – oder war es zumindest nicht mehr, nachdem sie Zeit gehabt hatte, sich ein wenig zu beruhigen und nachzudenken. Es war nicht ihr Fehler, dass sie nicht Shannon Parkers Tochter war. Sie konnte sogar verstehen, wieso sie es ihr nicht erzählt hatten. Wie konnte man einer, sagen wir Fünf- oder Zehnoder Fünfzehnjährigen erklären, dass sie in Wahrheit die Tochter einer Priesterin aus einer anderen Welt war und dass diese Priesterin sich dem Bösen zugewandt, sich dann wieder von ihm losgesagt hatte und kurz darauf gestorben war? Es war jetzt noch schwer genug zu verstehen, und sie war achtzehn Jahre alt und vermeintlich erwachsen und intelligent.
Morrigan fuhr weiter, während sie sich durch den Treibsand ihrer Gedanken wühlte. Rhiannon MacCallan. Das war der Name ihrer Mutter. Würde es ihr je gelingen, nicht Shannon Parker vor sich zu sehen, wenn sie versuchte, sich ihre Mutter vorzustellen? Sogar jetzt sah sie die dichte Mähne roter, lockiger Haare, die leuchtend grünen Augen und hörte das volle, lebensfrohe Lachen. Okay, von jetzt an sollte sie die modernen Sachen in Gedanken durch Kleidung ersetzen, wie sie die Frauen in der Fernsehserie „Rom“ trugen. Sie sollte sich auch Shannons Lächeln wegdenken. Ihr Bauchgefühl verriet ihr, dass Rhiannons Lächeln, wenn sie es denn mal gezeigt hatte, ganz anders gewesen war als Shannons fröhliche Offenheit.
Laut Grandpa hatte der Schamane erzählt, dass Rhiannon vor ihrem Tod Pryderi entsagt hatte und sich mit Epona versöhnte. Sie fragte sich, ob das stimmte. Der Schamane hatte vermutlich keinenGrund zu lügen, aber was war mir Rhiannon? Hatte sie gelogen?
Und, was für sie in diesem Augenblick am wichtigsten war, wie sollte sie je die Wahrheit über ihre Mutter erfahren? Die Stimme in der Höhle war so mütterlich gewesen, so liebevoll. Sie hatte angenommen, dass sie zu ihrer Mutter gehörte, und hatte sich ihr so nahe gefühlt wie nie zuvor. Doch nach dem, was sie an diesem Tag erfahren hatte, wollte sie mehr als alles andere wissen, ob die Stimme wirklich die ihrer Mutter war – war es wirklich Rhiannon, und wenn ja, welche Wahrheit steckte hinter ihrem Geflüster?
Das war der eigentliche Grund, weshalb sie zur Höhle zurückkehrte. Sie wollte genauso sehr die Wahrheit über ihre Mutter herausfinden wie über sich selbst.
Morrigan stellte den Old Red gleich neben dem Hinweisschild vom Alabaster Caverns State Park ab, das neben dem schmalen Weg stand, der zum Souvenirladen, der Picknickzone und dem Haupteingang der Höhle führte. Ihre Nikes knirschten auf dem Kies, aber der Himmel war so groß und weit, dass jegliches Geräusch von den Sternen verschluckt wurde. Während sie ging, schaute sie nach oben. Hier draußen, weit weg von der nächsten Stadt, sah der Himmel aus, als hätte jemand Zuckerkristalle auf einem schwarzen Samttuch verstreut. Der Mond war eine dicke Sichel, die durch das Laub der Bäume blitzte, die am Wegesrand standen. Der Wind fühlte sich weich und warm auf ihrer Haut an, und sie war erleichtert, weil er keine Stimmen zu ihr trug.
Bei der Hütte des Parkwächters verließ sie den Weg und ging so leise wie möglich auf dem moosigen Gras zwischen den Bäumen weiter. Es brannte nur ein schwaches Licht in der Hütte, und sie fragte sich kurz, ob Kyle dort drinnen war und vielleicht fernsah oder lernte. Er war wirklich ziemlich goldig gewesen und eindeutig an ihr interessiert. Er hatte ihr seine Visitenkarte unter einem durchsichtigen, aber süßen Vorwand gegeben, und gemeint, sie könne ihn ja mal anrufen, falls sie Lust hätte, wildes Höhlenklettern zu machen, wie er es nannte. Dafür kamen Höhlenforscher zusammen und erkundeten die Teile des Höhlensystems, die noch nicht erschlossen waren. Bei der Erinnerung daran lächelte sie. Das würde sie wirklich gerne einmal machen. Und ja, die Tatsache, dass er echt heiß war, schadete auch nicht. Sobald sie sich wieder im Griff hatteund wusste, wer sie war und was sie tun sollte, würde sie Kyle anrufen. Bis dahin schob sie alle Gedanken an ihn weit nach hinten. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich wie ein typischer dummer Teenager in Tagträumen über einen Jungen zu ergehen.
Ja, sie war noch ein Teenager.
Ja, sie fühlte sich manchmal (vor allem
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