Gelassen durch die Trotzphase
Schlangen oder Hunde, aber auch laute Geräusche, Dunkelheit, Feuer, Fahrstühle, Enge, große Plätze, der Anblick von Blut und vieles mehr können phobische Reaktionen hervorrufen, übrigens auch bei Erwachsenen. Recht oft stehen Phobien im Zusammenhang mit einem besonders belastenden oder sogar traumatischen Erlebnis. Dann gerät ein Kind schon in Panik, wenn es in irgendeiner Weise an das schlimme Ereignis erinnert wird.
SCHLIMME ERINNERUNGEN
Ein Kind, das einmal von einem Hund gebissen wurde, kann schon Angst beim Anblick eines Hundes in einem Bilderbuch bekommen. Ein Kind, das ein Feuer miterlebt hat, gerät vielleicht bereits in Panik, wenn es Wasserdampf in der Küche sieht.
Wenn das »Alarmsystem« keine Ruhe gibt
Bei vielen Kindern geht die Angstreaktion im Laufe der Zeit zurück. Wenn längere Zeit nichts Gefährliches mehr passiert, wird der Reiz vom inneren Alarmsystem wieder als harmlos eingestuft. Bei einigen Kindern schlägt die Amygdala (siehe > ) aber nach langer Zeit immer noch Alarm – besser gesagt: Fehlalarm. Vielleicht ist das Alarmsystem des Kindes grundsätzlich sehr empfindlich, die Angstschwelle also besonders niedrig. Oder das Ereignis war besonders schlimm, verbunden mit heftigen Schmerzen oder großer Angst. Wenn beides zusammenkommt, ist es am wahrscheinlichsten, dass eine dauerhafte Angstreaktion entsteht.
Janina (5 Jahre) erlebte genau so etwas. Sie kam zu mir in die Praxis, weil sie panische Angst vor Luftballons hatte. Das ging so weit, dass sie sich weigerte, sich einem Haus zu nähern, in dem Luftballons sein könnten: der Kindergarten, die Schule ihrer Schwester, die Wohnungen ihrer Spielkameraden ... Auch Luftballons in der Fußgängerzone lösten bei ihr Panik aus. Alles hatte mit einem belastenden Erlebnis angefangen: Als Janina noch nicht zwei Jahre alt war, war sie bei einer Geburtstagsfeier zusammen mit einem älteren Jungen in einem Raum. Dort waren aufgeblasene Luftballons, und der Junge begann, einen nach dem anderen zu zertreten. Janina bekam bei dem lauten Knallen fürchterliche Angst. Sie konnte die Tür nicht öffnen, dafür war sie zu klein. Sie konnte nicht fliehen, nur schreien.
Janina übte zunächst in meiner Praxis, zu Hause mit den Eltern wurden die »Luftballonübungen« jeden Tag weitergeführt. Anfangs musste sie lernen, den Anblick von zunächst kleinen und später immer dicker aufgeblasenen Luftballons auszuhalten. Dann übte sie, sie selbst aufzublasen, die Luft herauszulassen und sie fliegen zu lassen. Am Ende schaffte sie es, die Luftballons selbst zum Platzen zu bringen. Die Phobie war besiegt. Luftballons machten Janina keine Angst mehr.
Angst vor der eigenen Vorstellung
Kinder im Trotzalter haben sehr oft eine überschäumende Fantasie. Meist wissen sie genau, dass die Angst machenden Bilder ihrer Fantasie entspringen. Das nützt ihnen allerdings nicht viel, weil die Angst trotzdem bleibt. Jüngere Kinder können manchmal noch nicht so gut zwischen Fantasie und Wirklichkeit unterscheiden. »Verrückt« sind die Kinder natürlich trotz ihrer Angstfantasien keinesfalls, wie das folgende Beispiel zeigt.
Mona (5 Jahre) hatte Angst vor einem scheußlichen schwarzen Monster, das tagsüber und natürlich besonders abends und nachts jederzeit auftauchen konnte. Sie beschrieb es mir ganz genau: »Es ist groß, viel größer als ich, und dick. Es hat schwarzes, zotteliges Fell. Darunter sieht man die glibberige Haut. Die Haare hängen über den schwarzen Augen. Es stinkt nach vergammeltem Fisch. Hände und Arme hat es nicht. Aber einen rosa Mund mit spitzen Zähnen. Ich habe Angst, dass es mich mitnimmt in seine Monsterhöhle.«
Das Monster erschien zu jeder Tageszeit. Besonders schlimm war es abends und nachts. Dann hatte Mona das Gefühl, dass es wahrhaftig vor ihr stand. Sie weinte jeden Abend, klammerte sich an ihre Mama und weigerte sich, ins Bett zu gehen. Mona war ein sehr sensibles, kreatives Mädchen mit einer außergewöhnlichen Vorstellungskraft. Genau das war ihr zum Problem geworden. Was lag da näher, als im Problem selbst die Lösung zu suchen? Ich bat Mona, das Monster in meine Praxis zu »bestellen«. Das gelang ihr mühelos. Sie beschrieb, wie es zottelig und glibberig neben meiner großen Zimmerpflanze stand und diese sogar noch überragte.
Ich konnte sehen, wie Mona sich verkrampfte. Ich fragte sie, ob sie das Monster schrumpfen lassen könnte, vielleicht auf die Größe einer Katze oder einer Maus. Das klappte nicht so gut.
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