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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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beispielsweise Zahlungsbefehle über Unsummen oder Aufforderungen, sich doch umgehend im örtlichen Gefängnis einzufinden, enthielten. Ich hatte zwar nie sonderlich aufgepasst in der Postschule, aber eins wusste ich: Wenn in der Anschrift des Schriftstücks etwas nicht stimmte, dann durften die Empfänger die Annahme verweigern. Und so wurde ich, sehr zum Missfallen von Frau Rowald, nicht müde, die Leute darauf hinzuweisen, dass sie nichts annehmen müssen, weil da ja schließlich Dusseldorf und nicht Düsseldorf stand. Was Recht ist, das muss Recht bleiben.
    Jedenfalls sah mein Ausbildungsplan es von nun an vor, dass das Postamt meines Wohnortes für nahezu den gesamten Rest der Lehrzeit meine Heimat werden sollte. Was ich praktisch fand, denn ich war in fünf Minuten zu Fuß da. Langsam begann die Post mir sympathisch zu werden.
    Was man von den hiesigen Kollegen nicht unbedingt behaupten konnte … Oder besser gesagt: Sie setzten alles daran, nur keine Sympathien bei den Kunden zu wecken.
     
    Wie zum Beispiel mein erster Ausbilder im guten alten Meerbuscher Stadtteil Büderich: Hermann Sommermeyer!
    Er hieß nicht nur so – er war auch so.
    Hermann Sommermeyer … ja, wie soll man ihn beschreiben? Im Dienst stets korrekt gekleidet – in grau und blau eben. Als ich ihn kennenlernte, muss er so um die sechzig gewesen sein, er war ein paar Jahre von der Pension entfernt … auch wenn er aus der Nähe betrachtet bereits jetzt so rüber kam als bekäme er schon seit einigen Jährchen Altersruhegeld. Was wohl daran gelegen haben könnte, dass er immer und überall rauchte. Immer. Überall. Also auch am Schalter, während der Arbeit … und somit während der Öffnungszeiten.
    Im Zeitalter von absolutem Rauchverbot und hysterischen Anfällen von Nichtrauchern, wenn sie auch nur das Zipp eines Feuerzeugs hören, ist es nicht mehr zu glauben, dass es im Jahr 1978 noch möglich war, dass da in einem öffentlichen Gebäude mit Publikumsverkehr jemand am Schalter saß und neben ihm qualmte munter das so ziemlich miefigste, was einer Nichtrauchernase den Tag, ach was sag ich – den ganzen Monat vermiesen kann: eine dicke Zigarre nämlich.
    Aber anscheinend herrschte früher mehr Toleranz als heute, denn niemand beschwerte sich über Hermann – jedenfalls nicht über seine Glimmstange. Er lieferte andere Gründe.
    Hermann Sommermeyer war Beamter wie er im Buche stand. Pünktlich, dienstanweisungs- und postordnungstreu – und stur bis ins Mark. Was er nicht wollte, das machte er auch nicht – und wenn der Bundespostminister persönlich vor ihm gestanden hätte.
    Diese Sturheit trat vor allem dann zu Tage, wenn die Uhr auf 9.30 Uhr vorrückte. Denn das war die Zeit für die Frühstückspause. Die war zwar in keinem Dienstplan vorgesehen, essen sollte man dann, wenn die Zeit und der Kundenandrang es zuließen – aber Hermann hatte seine eigenen Regeln.
    Er konnte gerade mit hochdiffizilen Dingen beschäftigt sein, zum Beispiel mit der Neueröffnung eines Postsparbuches – egal: sprang der Zeiger der Uhr, die über seinem Schalter hing, auf halb zehn um, dann ließ er den Griffel fallen, schob dem verdutzten Kunden das Buch mit Anfangsfragmenten einer Eintragung, das Ersteinlagen-Geld und Personalausweis durch den berühmten Schlitz und ranzte auch noch: „Jetzt nehmen Sie das ganze Gelump und gehen zum Nebenschalter – ich mach erst mal Frühstück!“
    Sagte es, knallte das „Vorübergehend geschlossen“-Schild hin, packte seine blecherne Butterbrotdose und die antike Thermoskanne aus, breitete die BILD-Zeitung vor sich aus und biss herzhaft in die Käsestulle. Der Kunde mit dem Sparbuch blieb gelähmt stehen und starrte ins Schalterinnere – das aber störte Hermann nicht. Während der nächsten halben Stunde konnte nichts und niemand ihn stören. Wer immer ihn jetzt ansprach – keine Reaktion oder höchstens ein blickloser Fingerzeig auf das „Geschlossen“-Schild. Da konnte die ganze Schalterhalle mit Kunden überfüllt sein – Hermann kaute Käsebrot und schlürfte Kaffee, während neben ihm die ganze Zeit eine Zigarre auskühlte, die nach dem Mahl natürlich wieder entzündet wurde und den immer noch geschlossenen Schalter mit Nebelschwaden einhüllte, bis er endlich um Punkt Zehn wieder öffnete.
    Ja, wenn man einmal Beamter auf Lebenszeit war, dann konnte man sich so einiges erlauben. Eines musste man Hermann lassen: Er blieb seinen Prinzipien treu. Was mich damals um ein Haar das an sich intakte Leben

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