Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
in meiner Großfamilie gekostet hätte…
Denn ich war inzwischen einige Wochen bei Hermann Sommermeyer in der Ausbildung gewesen, hatte auch was von ihm gelernt, wenn auch ich nie wirklich mit seiner schroffen Art, wie er einem was erklärte, zu Recht kam. Jedenfalls bildete ich mir ein – und es war glaube ich auch so – dass das bei Hermann gesammelte Wissen zusammen mit dem bei Manfred in Oberkassel erstandene ausreichen sollte, dass ich auch mal allein am Schalter sitzen konnte, ohne dass mir jemand dauernd auf die Finger starrte. Die paar Briefmarken kriegte ich auch noch selbständig abgerissen, und zur Not saß ja am Nebenschalter auch immer jemand, der helfen konnte … wenn es nicht gerade Artus Bahn war, der zwar ebenfalls kurz vor der Rente stand, demnach seit vielen Jahren Schalter macht, dessen Fachwissen aber meilenweit hinter dem meinigen zurück lag. Er fragte eher mich als umgekehrt.
Auf alle Fälle: Es kam jener Samstagmorgen, als mein Onkel Karl die Halle betrat … dummerweise tat er dies um 9.29 Uhr und 40 Sekunden. Für den Weg zum Schalter, zu unserem Schalter, an dem zu diesem Zeitpunkt no ch ich auf dem Stuhl saß und H.S. hinter mir stand, brauchte er anscheinend mehr als zwanzig Sekunden, denn:
„Hier is‘ nu geschlossen. Anderer Schalter.“ Und das berüchtigte Schild sauste vor mir nieder – PAFF!!!
Stille.
Ich wusste: Mein Onkel Karl würde das so gar nicht gut finden.
Ich wusste: Mein Onkel Karl ist nicht die Ruhe selbst.
Ich wusste: Mein Onkel Karl würde ausrasten.
Genau jetzt.
Ich sah, wie ihm der Kopf rot anlief und wollte Schlimmeres verhindern, indem ich zaghaft vorschlug, ich könne doch allein weitermachen.
„Nein, das geht nicht. Aufsichtspflicht hab ich, und du baust nur Scheiße allein.“
Er sagte wirklich Scheiße! Unglaublich! Der sollte doch Vorbild für mich sein! Aber ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn rechts von mir, getrennt durch eine Scheibe sah ich meinen Onkel mit Blutdruck, sicherlich oberhalb der 200 – ich dachte: Jetzt macht‘s gleich BUMM! und die Hirnfetzen kleben an der Scheibe. Das wäre aus mehreren Gründen nicht so schön gewesen, einmal wegen der Optik, zum anderen aber auch, weil: Wie hätte ich das der bereits erwähnten Großfamilie erklären sollen, dass Onkel Karl wegen mir geplatzt ist?
Die ganze Szenerie und all meine Ängste beeindruckten Hermann nur insofern, dass er entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten nicht am Schalter sein Frühstück auspackte, sondern mit seiner speckigen Aktentasche, in der Dose und Flasche steckten, um die Ecke in den kleinen Aufenthaltsraum ging, der zwischen Schaltern und Paketschalter lag – aber von Letzterem aus eingesehen werden konnte.
Was die prekäre Situation nicht einfacher machte. Denn auch wenn Onkel Karl schon im Rentenalter war und einen nicht übersehbaren Bierwanst vor sich her trug – es wäre ein leichtes für ihn gewesen, über die Paketschalterbande zu hechten und dem Sommermeyer die Thermoskanne über den Schädel zu ziehen. Wollte man das erleben im Rahmen seiner Ausbildung? Entschieden: Nein!
Also schlich ich mich hinter Hermann Sommermeyers Rücken vorbei Richtung Paketschalter. Der merkte nichts von meiner Aktion, weil ihm gerade das BILD-Mädchen ihr ganz persönliches nacktes Überleben zeigte.
Die am Paketschalter arbeitende Kollegin Lotte-Liese, die im Laufe meiner Ausbildungszeit in Meerbusch mehrmals ihren Nachnamen wechselte, weil die Männer in ihrem Leben ebenso oft ein Griff ins Klo waren, schaute mich zwar verdutzt an, sagte aber weiter nichts, als ich mich mitten über die Theke ihres Schalters schmiss und um die Ecke flüsterte:
„Onkel Karl! Hallo, Onkel Karl … psst, hier!“ Onkelchen meinte zuerst Halluzinationen zu haben, weil er Stimmen hörte. Was ja auch kein Wunder gewesen wäre bei den Blutdruckwerten, die er inzwischen erreicht haben musste. Aber dann merkte er doch, dass in seinem Rücken tatsächlich jemand seinen Namen wisperte.
„ Dä hät se doch nit all, dä Heini!“ polterte er los.
„Hermann … Hermann, nicht Heini.“, verbesserte ich ihn. Was seine Laune nicht hob.
„Wo is dä Tünnes? Demm mach ich platt!“
„Hermann … nicht Tünnes…“, konnte ich es nicht lassen. Hey, ich war schließlich halber Beamter, da muss man konkret und korrekt sein!
„ Is mech ejal wie dä heescht … dä sull mech die verdammde Breefmarke jewwe, suns hau ich demm et Brüdche in demm singe Hals!“
Ja, Onkel Karl war
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