Geld im Mittelalter
habe sich den Thesen des Russen Aleksandr Č ajanov (1888–1937) angeschlossen. Aus den Ansätzen Č ajanovs, die man für auf die mittelalterliche Wirtschaft übertragbar hielt, resultierte die Idee einer bäuerlichen Wirtschaft, wo sich die Problematik eines Marktes für Grund und Boden mit der Vorstellung verband, entsprechende Handelsaktivitäten würden durch die zyklische Entwicklung der Größe der bewirtschafteten Fläche in Abhängigkeit von der Größe der Familie bestimmt oder in hohem Maße beeinflusst. Von dieser These ließen sich die meisten englischsprachigen Historiker inspirieren, die sich mit der möglichen Existenz eines Marktes für Grund und Boden in den meisten bäuerlichen Wirtschaftssystemen aller Epochen befassten. Ich hingegen bin der Meinung, und ich habe sie auch schon anderweitig in diesem Essay geäußert, dass Polanyi recht hat, wenn er sagt, dass Europa, wie auch der Rest der Welt, die Herrschaft des Ökonomischen über das Soziale damals nicht kannte und dass im Übrigen die wirtschaftlichen Phänomene untrennbar mit ihrem sozialen Kontext verbunden waren. 103
Hingegen teile ich, das sei wiederholt, den von Monique Bourin im Vorwort des Sammelbandes (S. XI) wiedergegebenen Ansatz, wonach es Regionen und Zeiten im Mittelalter gegeben hat, in denen der Handel mit Grund und Boden seinen Platz im Gefüge der sozialen Beziehungen hatte, wobei sich letztlich die Macht- und Rangverhältnisse in den tatsächlichen Landbesitzverhältnissen in der Regel spiegelten. Laurent Feller liegt richtig, wenn er auf das 1967 erschienene Werk La Fin des paysans [Das Ende der Bauern] des Ökonomen Henri Mendras als Ausgangpunkt der Überlegungen der französischen Geschichtsschreibung über die Landnutzung durch die Bauern verweist. Darin vertritt Mendras die Auffassung, dass der mittelalterliche Bauer, noch bevor der Boden zu einem Produktionsmittel wurde, emotional mit ihm verbunden war und eine besondere Beziehung zu ihm pflegte. In ihren Studien über den Handel mit Land in Spanien, vor allem Galicien, hat Reyna Pastor sehr überzeugend aufgezeigt, dass der Verkauf eines Stücks Land gewöhnlich eine Form des Tausches war und zu einer Schenkökonomie gehörte, was von der Vorstellung einer geschäftlichen Transaktion mit ökonomischem Charakter nur verschleiert werde.
Laurent Feller zog aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass man das Veräußern von Landstücken im Mittelalter unter Berücksichtigung von Mechanismen beschreiben müsse, die nicht alle den Gesetzen des Marktes gehorchten. Er betont, wie wichtig die gesellschaftliche und die innerfamiliäre Solidarität war, und dass ein solcher Handel ebenso in Form einer Schenkung habe erfolgen können, aber durch den Entschluss der Beteiligten unter Verwendung von Geldmitteln vonstatten ging (S. 28). Florence Weber wiederum stellt fest, dass »die merkantile Beziehung auf einer schmalen Bahn zwischen Krieg und interpersonalen Verbindungen ihren Platz hatte«. Die amerikanische Mediävistin Barbara Rosenwein 104 zeigt mit ihren Ansätzen, die sich auf eine frühere Periode beziehen, nämlich das 10. und 11. Jahrhundert – sie übte einen großen Einfluss auf die Historiker aus, die sich mit Cluny im Mittelalter beschäftigt haben –, dass die Cluniazenser viele andere nichtökonomische und sogar nicht auf Geld bezogene Motive hatten: Freigebigkeit und eschatologisches Gedankengut, Entsagung und Übereinstimmung mit dem klösterlichen Ideal, Aktivierung und Pflege der Beziehungsnetze, Bewahrung des Klostervermögens durch Schenkungen, die dem Orden beim Beitritt neuer Mitglieder zufielen. Kurz: Der Handel mit Grund und Boden fiel in den Bereich der Schenkökonomie und wurde bis weit über das cluniazensische 11. Jahrhundert hinaus betrieben, wie Patrice Beck betont. In seinem Buch La Société dans le comté de Vendôme de l’an mil au XIV e siècle (Paris 1993) führt Dominique Barthélemy vor, wie sehr die Schenkökonomie und die Marktökonomie sich bei Landübereignungen vermischten. Von dieser Überkreuzung, die auf Beziehungen innerhalb der Grundherrschaft aufbaute, war der Feudalismus bestimmt. Carlos Laliena Corbera verweist darauf, dass man, von der Problematik einer Vergleichbarkeit der verschiedenen Quellen einmal abgesehen – in Spanien wurden Landverkäufe gewöhnlich durch einen Notar getätigt, in England geben die Adels- und Kirchenarchive kaum Zahlenmaterial her –, erst dann von einem Markt für Grund und Boden im
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