Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
erst hinzusehen. Den Anblick, wie sie einfach so aus meinem Leben fährt, wollte ich mir lieber ersparen.
Auf einmal klopfte es an die Fenstersche ibe. Andrea hatte mich doch nicht vergessen! Sie öffnete die Tür und fragte: „Was machst du denn hier drin? Willst du mich so schnell loswerden?“
Ich schaute sie traurig an und sagte: „Nein, ich will, dass du schon wieder da bist.“
Sichtlich gerührt fing Andrea an zu lachen. „Komm mal raus.“ Ich stieg also aus und schaute bedröppelt in der Gegend rum. „Ich muss dich doch noch ganz lieb knuddeln“, sagte sie und nahm mich ganz fest in den Arm. „Du wirst mir auch fehlen, mein Süßer. Aber in zwei Wochen bin ich schon wieder da und wir telefonieren jeden Abend, ok?“
Ich nickte und wischte mir die Tränen aus dem G esicht.
„Och Gottchen, Jan“, sagte sie mitleidig, „du wirst die Zeit sicher genießen. Wenn ich wiederkomme wünscht du dir bestimmt, ich wär noch länger weggeblieben.“
„Aber du fehlst mir jetzt schon ganz doll“, schluchzte ich und kla mmerte mich an ihr fest.
Nach einigen Minuten rief eine Stimme aus dem Bus: „Kommen Sie dann auch an Bord, Misses Kowalski?“
Schwerfällig löste ich mich aus der Uma rmung und zupfte meine Klamotten wieder richtig. Andrea ordnete ihre Haare und sagte zum endgültigen Abschied: „Also dann ... Ich ruf dich an, sobald ich da bin, ok?“
„Ok“, sagte ich leise.
„Ich hab dich lieb.“ Mit diesen Worten nahm sie mich nochmal fest in den Arm und ging dann zum Bus.
„Ich hab dich auch lieb“, rief ich ihr hi nterher.
Bei der Abfahrt winkte jeder seinen Ang ehörigen zu und rief aus den Fenstern wild durcheinander „Tschüss“ oder „Bis bald“ oder „Ich liebe dich“. Andrea warf mir ein Küsschen zu, das ich einmal auf meine Wange drückte und es dann sicher in meiner Tasche verstaute.
Noch ein paar Mal winkte ich dem Bus nach, bis er dann nicht mehr zu sehen war. Die anderen, die um mich heru mstanden, stiegen in ihre Autos oder auf ihre Fahrräder und verschwanden. Nach einiger Zeit stand ich ganz alleine auf dem großen Parkplatz. Es war unnormal ruhig. Man hörte kein einziges Fahrzeug, nur einmal wurde die Stille von einem Flugzeug unterbrochen. Irgendwie war das schön ... das Geräusch des Flugzeugs ... endlich nicht mehr diese eklige Stille. Ich lehnte mich ans Auto und starrte in die Leere. Hier gab es am Rande des Parkplatzes eine wunderschöne Grünanlage mit riesigen Bäumen, aber selbst dieses Stückchen Natur wirkte heute total leer. Es war nichts da außer dem Teer unter meinen Füßen. Kilometerweise nur Teer. Sogar das Gezwitscher der Vögel war auf einmal weg. Alles war mit Andrea weggefahren, ich war völlig alleine.
Im Bus herrschte dagegen eine ausgelassene und freudige Stimmung. Viele waren heilfroh, endlich mal von der geliebten Ehefrau wegzukommen, oder freuten sich auf die Pause vom Geschrei ihrer Kinder.
Andrea war in ihren Sitz gesackt und kramte in ihrer Tasche. „Oh nein, ich habe meinen Deoroller verge ssen“, bemerkte sie.
„Du kannst meinen haben, wenn du ihn brauchst“, e rtönte eine Stimme von links. Andrea schaute auf und strahlte Tina erfreut entgegen. „Ist hier noch frei?“
„Klar, setz dich“, an twortete Andrea ihr und räumte ihre Sachen von dem Platz neben sich.
Tina verstaute ihr Handgepäck ebe nfalls über und unter dem Sitz und setzte sich. „Bei euch beiden könnte man meinen, ihr wärt noch nie voneinander getrennt gewesen“, scherzte sie.
„Waren wir auch nicht “, antwortete Andrea keck, „doch halt, das eine Mal, als seine Eltern ihn ins Feriencamp geschickt hatten.“
Tina schmunzelte. „Ach, wie süß.“
„Ha, sag das nicht , das war echt ’ne grausame Erfahrung für ihn. Die Kinder hatten ihn dauernd irgendwo festgebunden und ihn dann da vergessen. Wäre nicht immer zufällig einer der Aufseher vorbeigekommen, würde er da heute noch hängen.“
Tina schaute Andrea ungläubig an. „Kinder sind so grausam!“
Andrea nickte. „Nur waren diese Kinder schon 15.“ Beide sahen sich mit einem Gesichtsausdruck an, der Bände sprach. 15-jährige, die aus Spaß Kameraden in der Wildnis verhungern ließen ...
Tina schüttelte den Kopf. „Und ich dachte, ich wäre ein Arsc hloch-Kind gewesen.“
„Wer war ein Arschloch-Kind?“, meldete sich eine Stimme hinter den beiden zu Wort. Die beiden Fra uen sahen sich um und erblickten Tim Jensen, einen ihrer Junior-Chefs, der erst seit ein paar
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