Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
habe ich“, sagte ich zuversichtlich.
Das Ernste verschwand aus ihrem Gesicht und wurde von einem leicht verspottenden Lächeln übermalt. „Wenn du es verstanden hättest, was du nicht hast, dann würdest du dich für diesen Verbrecher nicht auch noch entschuldigen.“
„Tu ich doch gar nicht“, gab ich verwu ndert von mir.
Andrea musste lachen. „Ach, lass es gut sein. Halt dich am besten einfach fern von ihm.“
„Ich fürchte, ich hab eh keine andere Wahl, ich werde ihn bestimmt nie wiedersehen“, seufzte ich.
Andrea stand auf und legte eine Hand auf meine Schulter. „Dann ist er wohl einfach nicht der Richtige für dich.“ Gerade als ich dazu was sagen wollte, fuhr sie fort: „Du hast was Besseres verdient. Du brauchst einen, der genauso lieb und einfühlsam ist wie du.“
Was sollte ich dazu noch sagen ... Es schmeichelte mir, dass sie das so sah, doch im nächsten Moment ergänzte sie ihre Aussage mit: „Marco ist ein Arschloch, sei froh, ihn los zu sein. Weiß Gott, was der mit dir angestellt hätte.“
Das war natürlich absolut nicht das, was ich hören wollte, also zog ich mich beleidigt in mein Zimmer zurück und knibbelte gefrustet stückchenweise mein Radiergummi kaputt. Danach zerfetzte ich ein paar Blä tter aus einem Ringbuchordner und schmollte schließlich, weil ich nicht einschlafen konnte. Am liebsten hätte ich das Papier samt Radiergummi aufgefressen, aber das ließ ich zum Glück dann doch bleiben.
D ie Tage vergingen und das Thema Marco war aus dem Haus verschwunden.
Zusammen mit ein paar Kollegen nutze Andrea das Angebot einer Fortbi ldung von ihrer Firma.
Der Abschied sollte nicht schwerfallen, Andrea beric htete mir schon wochenlang von dieser Fortbildung und fieberte ihr entgegen. Das wäre eine riesige Chance für sie sehr bald befördert zu werden, erwähnte sie dauernd. Ich freute mich auch darauf, das Haus mal ganz für mich zu haben. Seit Tagen schon malte ich mir aus, was ich während ihrer Abwesenheit alles tun könnte.
Am Tag der Abreise war Andrea vollgepumpt mit Adrenalin ... und Kaffee. Die ganze Zeit wirbelte sie von einem Raum zum anderen, räumte was aus ihrem Koffer raus und wieder rein. Dann brachte sie ein paar Becher Kaffee ins Klo und räumte wieder raus, was sie zuvor in den Koffer gepackt hatte, nur um neue Sachen wieder hineinzustopfen. Ein paar Schlucke Kaffee und das Ganze ging von vorne los.
Nach der sechsten Tasse Kaffee nahm ich ihr die Kanne weg.
„Heee, ich brauche das“, schimpfte Andrea mich aus.
„Du explodierst noch vor Spa nnung, wenn du dieses Zeug weiter säufst!“, belehrte ich sie.
Widerwillig räumte sie ohne ihre Energi equelle den letzten Kram zusammen und verstaute alles im Auto. Die vom Koffein berauschte Frau kam erst zur Ruhe, als wir nahe der Firma auf einem Parkplatz ankamen, auf dem sich alle Mitarbeiter versammelten, um auf den Bus zu warten.
Es war echt merkwürdig, denn kaum waren wir au sgestiegen, verhielt sich Andrea völlig ruhig und gelassen. Dieses Phänomen hatte ich schon häufiger bei ihr beobachtet. In Anwesenheit ihrer Mitstreiter der Firma wurde sie ein völlig anderer Mensch. So diszipliniert und erwachsen. Sie war mir gegenüber zwar auch alles andere als kindlich, aber vor ihren Kollegen war sie geradezu professionell. Das musste wohl auch so sein, damit sie eine gute Figur in der Firma machte.
Herzlich begrüßte sie Tina und zwei weitere Kollegi nnen. Der Rest bekam lediglich einen Handschlag, wenn nicht sogar nur ein nettes Zuwinken.
Eine Weile beobachtete ich, wie meine WG-Partnerin ihre Klamotten in den Bus stopfte und einem Kollegen bei der Anwesenheitsliste half. Ich war währenddessen wieder ins Auto gestiegen. Irgendwie war mir gar nicht mehr danach, Abschied von meiner besten Freundin zu nehmen. Auf einmal fühlte ich mich ganz alleine und wünschte, sie wäre schon wieder da.
Nachdem die Liste abgehakt worden war, man den Leuten hinterhe rtelefoniert hatte, die noch fehlten, und fast alles im Bus verstaut war, verabschiedeten sich alle von Familienangehörigen oder Freunden. Andrea schien sich gar nicht von mir verabschieden zu wollen. Sie war immer noch viel zu beschäftigt damit, irgendwelchen Papierkram zu erledigen. Bestimmt würde sie gleich in den Bus steigen und mich völlig vergessen. Der Busfahrer stieg bereits ein und ein Großteil der Mitreisenden suchte sich einen Platz ... und noch immer fand Andrea keine Zeit für mich. Ich hielt es für das Beste, gar nicht
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