Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
Luft. „Hier, probier das mal an“, forderte sie mich auf und warf es mir zu. „Dazu kannst du die dunkelblaue Kordhose anziehen, die seit Jahren auf dich im Trockner wartet.“
Völlig überrascht antwortete ich: „Wir h aben einen Trockner?“ Andrea rollte mit den Augen, was mich zum Lachen brachte. Doch ihr war gar nicht nach lachen.
„Jan, ich muss zur Arbeit, mach mal hi nne.“
„Ok ...“, antwortete ich lustlos und ging mit dem Hemd unterm Arm ins Bad zum Wäschetrockner, den ich bisher immer für eine kaputte Waschmaschine gehalten hatte.
Als ich nun in voller Montur, sprich Hemd, Hose und Schuhe, vor dem Spiegel stand, zupfte meine Ankle idedame noch etwas an mir herum und merkte an: „Wow, hey, mein Hemd steht dir ja richtig gut. Mach es aber bloß nicht kaputt!“ Ich frage mich, warum sie immer prinzipiell davon ausgeht, dass ich alles kaputt mache, wenn man mir das nicht verbietet.
Nun ging alles ganz schnell, für meinen Geschmack zu schnell! Wir saßen kaum im Auto, da waren wir auch schon so gut wie da.
„Ich schmeiß dich da vorne raus, dann muss ich nicht erst noch wenden“, sagte Andrea, während ich den von der aufgehenden Sonne gold gefärbten Himmel betrachtete.
Ein unglaublicher Anblick! Für einen ku rzen Moment ließ er mich sogar vergessen, wo die Fahrt hinführte ... wobei mir das die ganze Zeit schon nicht richtig bewusst gewesen war. Auch als sich das Gerichtsgebäude mittlerweile in unmittelbarer Nähe befand, wurde mir nur langsam klar, dass ich da jetzt rein musste ... also nachher dann rein musste.
Ich hatte einfach nur noch diese atemberaubenden Fa rben vor Augen. Ich fühlte mich gut, richtig gut. In mir kamen Erinnerungen von damals hoch, als ich viel Zeit an einem Bach, der zwischen zwei Feldern entlang lief, verbracht hatte. Im Sommer hatte man immer den Geruch von frischem Wind und Kornfeldern in der Nase gehabt. Damals hatte mich das nicht wirklich interessiert, aber im Nachhinein betrachtet war es echt schön gewesen.
Plötzlich schreckte ich auf. „Oh nein!“
„Was?“, gab Andrea erschrocken zurück.
Ich schlug panisch die Hand vor die Stirn. „Ich hab die Einladung vergessen!“
„Du meinst die Vorladung“, verbesserte sie mich und drückte mir das Schreiben in die Hand. „Wenn ich nicht immer für dich mitdenken würde, ey.“
Mit einer trotzigen Grimasse steckte ich den Brief in meinen Rucksack und warf einen letzten Blick auf den goldenen Himmel, der mittlerweile in einen hellen Blauton überging.
Dann weckte das Gerichtsgebäude auf der anderen Straßenseite endlich meine Au fmerksamkeit. Hier war ich schon einige Male vorbeigekommen, aber mir war nie aufgefallen, dass es ein Gerichtsgebäude war. Dass es irgendwas Besonderes war, wusste ich, aber was, darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht.
„Jan?“, fragte Andrea eindringlich. Mechanisch dre hte ich meinen Kopf zu ihr, ohne etwas zu sagen. „Jetzt kommt der Teil, wo du aussteigen musst“, erwähnte sie. Wieder herrschte Schweigen. Mein Blick klebte am Armaturenbrett fest.
Ganz langsam wachte mein Verstand auf und mir wurde klar, was jetzt bald passieren würde. Auf ei nmal flutete ein Schwall von Gedanken meinen Kopf. Ich wusste gar nicht, wo das alles auf einmal herkam. Es war wie bei einem Handy, das man nach ein paar Tagen wieder einschaltete und alle Nachrichten und entgangenen Anrufe trafen auf einmal ein.
„Hey, Jan.“ Andrea erschreckte mich, als sie ihre Hand auf meine Schulter legte. „Wow, ganz ruhig“, sagte sie sachte und tätschelte mich, „das packst du.“ Eingeschüchtert und ein wenig von der Situation überfordert schüttelte ich den Kopf. „Doch, ganz s icher“, versicherte sie mir erneut und versuchte, mir Mut zu machen. „Ich kann zwar nicht sagen, dass es ganz easy sein wird, aber es wird sicher weniger schlimm, als du jetzt befürchtest. Was macht dir denn am meisten Angst?“
Einen Moment lang überlegte ich. „A lles.“
„Uff ... ja, das ist ...“, stammelte Andrea, „sieh es mal so, es dauert ungefähr ’ne Stunde, wenn überhaupt, und dann hast du es hinter dir. Es wird dich nicht ewig lange quälen, es geht ja auch nicht um dich. Du gehst da rein und kannst danach wieder rausgehen, das kann Marco höchstwahrscheinlich nicht.“
„Ja ... genau das befürchte ich“, seufzte ich.
Verständnislos schüttelte Andrea den Kopf. „Er hat es ve rdient, Jan ... Bei dem, was man so liest, hat er es schon lange verdient.“ Dazu
Weitere Kostenlose Bücher