Geliebt
die Ereignisse der vergangenen Stunde jetzt wild und verrückt vor – sie konnte einfach nicht nachvollziehen, warum sie sich derart aufgeführt hatte. Woher war diese plötzliche Wut gekommen? Warum hatte sie die Kontrolle verloren?
Natürlich wusste sie, dass diese Fragen nicht mit Logik zu beantworten waren: Wenn die furchtbaren Schmerzen sie überfielen, drehte sie einfach völlig durch. Dann war sie ihren animalischen Instinkten ausgeliefert – als wäre sie in dem Zustand ein anderer Mensch. Gott sei Dank hatte Caleb eingegriffen, denn sonst hätte sie jetzt diesen Polizisten auf dem Gewissen. Er hatte sie vor einer Riesendummheit bewahrt.
Als sie das Blut an seinem Arm sah, hatte sie wieder ein schlechtes Gewissen. Wegen ihr war er angeschossen worden.
Impulsiv streckte sie die Hand aus und legte sie auf seinen Arm.
»Es tut mir so leid«, entschuldigte sie sich. »Bist du okay?«
»Ja, absolut«, beruhigte er sie. »Vampire sind anders als Menschen: Unsere Haut verheilt sehr schnell. In ein paar Stunden wird nichts mehr davon zu sehen sein. Zum Glück war das nur eine ganz normale Kugel – bei einer Kugel aus Silber hätte die Sache ganz anders ausgesehen. Aber so musst du dir wirklich keine Gedanken machen«, fügte er beschwichtigend hinzu.
Prüfend musterte sie seinen Arm und stellte fest, dass die Wunde tatsächlich schon gut verheilt war. Zu ihrer Verblüffung sah sie nur noch wie ein großer blauer Fleck aus, der vor ihren Augen kleiner zu werden schien.
Ob sie wohl auch über diese Eigenschaft verfügte? Wahrscheinlich nicht, denn schließlich war sie ja nur ein Halbblut. Bestimmt hatten nur richtige Vampire diese erstaunliche Fähigkeit zur Schnellheilung. Ein Teil von ihr wünschte sich, sie wäre eine von ihnen. Unsterblichkeit. Übermenschliche Kräfte. Unverwundbarkeit gegenüber den meisten Waffen. Über einige dieser Eigenschaften verfügte sie, jedoch offensichtlich nicht über alle. Sie hing zwischen zwei Welten, und sie hatte keine Ahnung, für welche sie sich entscheiden sollte.
Nicht, dass sie es sich aussuchen könnte. Die einzige Möglichkeit, ein echter Vampir zu werden, bestand darin, von einem Vampir verwandelt zu werden. Aber Caleb war nicht dazu bereit, denn das war verboten. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass er ihr die Verwandlung auch dann nicht nahelegen würde, wenn es erlaubt wäre. Seine Unsterblichkeit machte ihm offensichtlich zu schaffen – er schien Caitlin regelrecht um ihre Sterblichkeit zu beneiden. Sie hatte den Eindruck, dass er es ihr in ihrem eigenen Interesse nicht wünschte, unsterblich zu sein.
»Hast du sie noch?«, wollte er wissen.
Verständnislos sah sie ihn an.
»Die Karte, die ich dir vorhin gegeben habe.«
Natürlich, die war schließlich der Grund, warum sie genau hier gelandet waren.
Schnell steckte sie die Hand in die Tasche und stellte erleichtert fest, dass der Plan noch da war. Zum Glück gab es Reißverschlusstaschen.
Nachdem sie Caleb die Rolle gegeben hatte, rollte er sie auseinander und starrte darauf.
»Wir sind nicht weit weg«, bemerkte er, ließ das Papier sinken und schaute nachdenklich in den Wald. »Das Cottage müsste ganz in der Nähe sein.«
Caitlin sah sich um und kniff die Augen zusammen. Außer Bäumen konnte sie nichts erkennen.
»Ich sehe nichts«, erwiderte sie.
»Die Karte ist ziemlich alt«, erklärte er. »Sie wurde mit der Hand gezeichnet und ist sicherlich nicht besonders genau. Aber die Markierungen deuten auf diese Gegend hin.«
Erneut sahen sie sich um, jedoch ohne Erfolg.
Schließlich meinte Caitlin: »Dieses Cottage stand hier irgendwo vor Hunderten von Jahren. Könnte es nicht vielleicht sein, dass es gar nicht mehr existiert?«
Wieder ließ Caleb prüfend den Blick schweifen. Dann steuerte er durch das raschelnde Laub in eine bestimmte Richtung, und sie folgte ihm.
»Ja«, entgegnete er, »das könnte sein, vor allem, wenn es aus Holz erbaut wurde. Dann existiert es höchstwahrscheinlich nicht mehr. Aber ich hoffe einfach, dass es ein Steincottage ist. Die meisten Cottages, die von Vampiren erbaut wurden, waren aus Stein. Dann könnte es nämlich noch stehen, zumindest teilweise.«
»Selbst wenn es so wäre, glaubst du nicht, dass es inzwischen entdeckt oder auch mutwillig zerstört worden sein könnte?«, fragte sie.
»Das ist gut möglich. Es sei denn …«
Sie wartete. »Es sei denn?«
»Es sei denn, dass es von der Vegetation überwuchert wurde. Unter Vampiren gibt es eine
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