Geliebte Betrügerin
warnte Dr. McEachern und bereitete den ersten Schnitt vor.
Er hätte dazu sagen sollen, dass sie auch schreien würde. Denn sie schrie laut und lang und schrill und hörte erst damit auf, als Dr. McEachern mit der Pinzette die Kugel hochhielt. In die gnädige Stille hinein sagte er: »Gute Nachrichten, meine Herren. Ich kann sicher sagen, dass es nicht die Lunge erwischt hat.«
Kapitel 29
»Lord Kerrich wollte eigentlich, dass Sie in seinem Haus genesen, aber ich sagte ihm, dies sei unschicklich. Als er dann Lord Reynard als Anstandsdame anführte, war ich gezwungen, ihn darauf hinzuweisen, dass Lord Reynard zwar ein älterer Herr ist, nichtsdestotrotz aber ein Mann und daher als Gesellschafter für eine unverheiratete junge Dame genauso ungeeignet.« Queen Victoria saß an Pamelas ausladendem, kostbaren Bett im Buckingham-Palast und bestickte einen Stuhlbezug. Das tat sie an jedem Tag, seit auf Pamela geschossen worden war, für genau anderthalb Stunden.
Es war schon über vierzehn Tage her, aber Pamela empfand immer noch jedes Lächeln als Strapaze und das Sprechen als Anstrengung. Alles und jeder ermüdete sie. Vielleicht kam es vom Herzenskummer, denn die Wunde war nicht infiziert und verheilte prächtig.
»Ich muss Ihnen nochmals danken, dass ich hier bleiben durfte.« Pamela setzte sich auf und versuchte, den Kissenhaufen bequem zu arrangieren. »Ich habe ein Zimmer in der Vornehmen Akademie der Gouvernanten, aber es ist nicht annähernd so prächtig wie dieses hier.« Hier waren Vorhänge und Tagesdecke aus Goldbrokat, an den kastanienrot bespannten Wänden hingen heitere Gemälde. »Miss Setterington fragt bei jedem Besuch, wann ich wiederkomme.«
»Das hat keine Eile.« Queen Victoria war aufgestanden, stopfte die Kissen unter Pamelas Kopf und half ihr, sich aufzurichten. »Sie sind immer noch schrecklich blass, und der Bluterguss in Ihrem Gesicht nimmt einen garstigen Gelbton an.«
Pamela berührte ihre Wange. Die Stufen hatten nicht nur in ihrem Gesicht Spuren hinterlassen. Sie sah von Kopf bis Fuß wie eine buntscheckige Katze aus, braun und gelb gefleckt. Einen Augenblick lang quälte sie der Gedanke, dass Kerrich sich deshalb so rar machte. Doch dann verwarf sie den Gedanken. Ein Mann, der die Furcht erregende Miss Lockhart geküsst hatte, konnte nicht so seicht sein, sein Begehren von ein paar blauen Flecken oder der Narbe einer Schusswunde zügeln zu lassen.
Aber war das nicht gerade das Problem? Wenn er seine Tagesgeschäfte für einen Besuch bei Pamela schleifen ließ, beaufsichtigte sie entweder die Königin selbst oder Hannah oder eine der Hofdamen Ihrer Majestät. Und wenn Kerrich an ihrem Bett stand, behandelte er sie äußerst respektvoll und ehrerbietig.
Pamela hasste diesen Respekt. Sie spuckte auf seine Ehrerbietung. Sie konnte diese höfliche, wohlmeinende Konversation kaum ertragen. Hätte er wie früher offen mit ihr reden wollen, dann hätte ihm nichts und niemand den Mund verbieten können. Pamela verstand die Botschaft.
Die Glut war erloschen. Er begehrte sie nicht mehr.
Die Stimme Queen Victorias drang in Pamelas höchstpersönliches Fegefeuer, und sie bemerkte erschrocken, dass Ihre Majestät wieder Platz genommen hatte und bereits eine ganze Weile auf sie eingeredet haben musste.
»Also habe ich Lord Kerrich gesagt, dass Lady Colbrook mir die Geschichte schon vor Monaten aus der Nase gezogen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie gerissen sie war. Das haben erst die späteren Vorkommnisse gezeigt. Vermutlich hat sie die Geschichte von Lord Kerrichs … äh … Blöße vor dem Fenster genau in jener Nacht verbreitet, um von ihren eigenen Aktivitäten abzulenken.« Queen Victoria schüttelte verwundert den Kopf. »Er ist immer noch verärgert darüber.«
»Ja, aber das ist doch auch kein Wunder?« Pamelas Blick ruhte auf der Vase voller Rosen, die an ihrem Bett stand. Täglich wurden die welken Rosen gegen frische ausgetauscht. Täglich atmete sie ihren Duft und erinnerte sich an Kerrichs Leidenschaft, atmete nochmals ein und fragte sich, ob der Duft von Rosen sie je wieder erfreuen würde. Doch sie hatte nie darum gebeten, die Rosen zu entfernen.
»Er hätte alles getan, die Geschichte geheim zu halten, sogar dieses reizende Mädchen adoptiert.« Victoria lächelte boshaft, während sie stickte. »Ich werde diese Nacht im Kensington-Palast nie vergessen. Wir waren aufs Äußerste belustigt. Es war das Komischste, was ich je gesehen hatte, wie er da hing in all seiner Pracht
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